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Kindsköpfe: Roman (German Edition)

Kindsköpfe: Roman (German Edition)

Titel: Kindsköpfe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriss Rudolph
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nicht reagierte, noch einmal: »Inken!«
    Der Kopf seiner Schwester erschien langsam wieder über der Decke. Ihr Gesicht war noch blasser als vorher.
    »Ich glaube, es ist alles noch da«, sagte sie leise.
    »Ist doch bestens«, sagte Niklas, obwohl er keine Ahnung hatte. Hatte denn der Arzt noch nicht mit ihr gesprochen?
    »Was verstehst du davon?«, entgegnete Inken feindselig und schlug die Decke zurück. Voller Abscheu betrachtete sie ihren Verband. Niklas wollte ihr die Haare aus dem Gesicht streichen, doch sie schlug seine Hand fort. Der Infusionsständer, mit dem sie über einen dünnen Schlauch verbunden war, wackelte heftig.
    »Was glaubst du, was passiert ist, Niklas Tiedemann? Sie haben sie aufgemacht, reingesehen, festgestellt, dass es zu spät ist, und wieder zugemacht.«
    »Du kannst doch unter der Bandage gar nichts sehen«, versuchte er sie zu beruhigen, doch damit brachte er sie auf eine ganz neue Idee. Inken suchte nach einem Anfang, um ihren Verband abzuwickeln. Niklas wollte sie von ihrer irren Idee abbringen, aber Inken ging mit Fäusten auf ihn los. Sie war überraschend kräftig, und er hatte Mühe, sie zu überwältigen.
    »Lass mich allein«, rief sie, doch Niklas weigerte sich, das Zimmer zu verlassen. Darauf schob Inken ihre Beine aus dem Bett und setzte sich an die Kante. Der Infusionsschlauch stand gespannt in der Luft. Er drohte aus der Kanüle in ihrer Hand zu reißen.
    »Du musst liegen bleiben, Inken!«, bat Niklas sie.
    »Oli kannst du von mir aus herumkommandieren. Mich nicht«, herrschte sie ihn an.
    Er erkannte seine Schwester nicht wieder. Zögernd stand er auf.
    »Ich hole jetzt den Arzt. Der wird dir erklären, dass alles in Ordnung ist.«
    »Raus!«
    Niklas ging auf die Toilette, um sich etwas frisch zu machen. Außerdem rief er Oliver an, um ihm mitzuteilen, dass es wohl noch etwas dauern werde; er wollte in Inkens Zustand nicht von ihrer Seite weichen. Schließlich klopfte er an die Tür zum Stationszimmer.
    »Schon wieder?«, stöhnte Schwester Erika, die gerade die Nachtmedikamente für die Patienten zusammenstellte. Niklas berichtete von Inkens Wahnvorstellungen und verlangte, Doktor Danzig zu sprechen. Der sei im Feierabend, erfuhr er von der Schwester. Sie beauftragte ihre Kollegin damit, den diensthabenden Arzt anzupiepen, und zog eine Spritze auf. Dann begleitete sie Niklas in das Zimmer seiner Schwester.
    Inkens Bett war leer. Ihr Kopfkissen lag auf dem Boden, der Infusionsständer stand mitten im Raum, und der Obstkorb war vom Nachtschrank gestürzt; die Melonen waren aufgeplatzt, das Fruchtfleisch bis an die Wand gespritzt.
    »Inken?!«, brüllte Niklas und lief zurück auf den Flur.
    »Vielleicht ist sie auf der Toilette!« Schwester Erika überholte ihn und riss die Tür zur Damentoilette auf. »Frau Bayer? Sind Sie hier drin?«
    »Ich hätte sie nicht allein lassen sollen!«, fluchte er und schlug gegen die Tür.
    »Jetzt fangen Sie nicht auch noch an, auszurasten!«, herrschte Erika ihn an und hielt ihm drohend die präparierte Spritze vor die Nase. »Weit kann Ihre Schwester nicht sein.«
    »Ich sehe im Aufenthaltsraum nach!«, rief er und hätte fast einen Pfleger gerammt, der aus dem Treppenhaus gerannt kam.
    »Vermisst ihr eine Patientin?« Atemlos stützte er sich vornüber auf die Knie, um zu verschnaufen. Schwester Erika warf ihm einen entsetzten Blick zu.
    »Inken!«, rief Niklas. »Wo ist sie?«
    Der Träger musterte ihn für einen Moment zweifelnd. Dann sprang er auf und öffnete die Tür zum Treppenhaus. »Kommen Sie mit runter, Mann!«
    »Er bleibt hier!« Damit fasste die Schwester Niklas geistesgegenwärtig am Arm. Sie hatte längst verstanden, was Furchtbares passiert war. »Halten Sie ihn fest!«, befahl sie dem Träger. »Er ist ihr Bruder.«
    Er versuchte, sich gegen die beiden zu wehren, selbst noch, als er den Stich der Nadel spürte. Er wollte sich losreißen und trat um sich. Verzweifelt schrie er Inkens Namen und stellte fest, wie seine eigene Stimme merkwürdig verhallte und sich mit den aufgeregten Stimmen der anderen vermischte. Dann verlor er das Bewusstsein.

5 : Familienbande
    »Charlotte, dein Müsli kriegt gleich Beine!«
    »Das schmeckt voll ekelig!«, kam die Antwort aus dem Badezimmer.
    »Essen ist nicht ekelig!«
    Niklas rührte testweise in Lottes Müsli. In der Milch schwammen ausschließlich Haferflocken. Beim Blick in die Tüte stellte er fest, dass darin kein einziges Fruchtstückchen mehr war. Mal wieder. Oliver pickte,

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