Kindsköpfe: Roman (German Edition)
durchblicken lassen, und seit dem Germknödel-Coup war die Sache so gut wie sicher.
Ein österreichischer Fabrikant von Tiefkühlkost hatte eine Kampagne zur deutschen Markteinführung von Germknödeln in Auftrag gegeben und die Agentur mit Probepackungen überschüttet. Niklas hatte sie zu Hause ausprobiert, und Lotte wollte beim Essen wissen, warum Germknödel eigentlich Germknödel hießen?
Ohne darüber nachzudenken, hatte Oliver den Knödel auf seinem Teller angesehen und gesagt: »Weil ich sie so schrecklich germ habe.«
Der Rest der Kampagne ergab sich wie von alleine.
Dass ihr Freund und Kollege neuerdings auf Familie machte, passte Nadja gar nicht. Sie konnte sich schlecht allein in die Studentenkneipe setzen, weil man sie dann als das erkannt hätte, was sie war: eine Single-Frau auf der Suche. Also warf sie Niklas Vernachlässigung vor, doch wenn er sie einlud, ihn zu Hause zu besuchen, winkte sie dankend ab. Um ihn zu bestrafen, hörte sie auf, ihm von ihren sexuellen Abenteuern zu berichten, wobei sie – seinetwegen! – kaum noch welche erlebte. Womit Nadja ihn hingegen reichlich versorgte, war Spott. Wenn er sich mal wieder im Meeting die müden Augen juckte, brachte sie ihm einen Kaffee und meinte: »Hättest du bloß auf mich gehört und einen Hund genommen!«
Mehr als ein Monat war seit dem Tod seiner Schwester vergangen. Wegen der ungeklärten Umstände wollte die Staatsanwaltschaft die Leiche zunächst nicht freigeben. Anfangs war vermutet worden, dass Inken die Narkose nicht vertragen hatte und darum halluzinierend aus dem Fenster gesprungen war. Die Ärzte wiesen jede Verantwortung von sich, und tatsächlich stellte sich am Ende heraus, dass nicht der Anästhesist ihre Sinne verwirrt hatte – oder zumindest nicht allein. Bei der Obduktion waren geringe Spuren von Tetrahydrocannabinol in Inkens Blut gefunden worden, was auf den Genuss von Cannabis schließen ließ.
Niklas fiel ein, dass Mattis ihm erzählt hatte, dass sie nach ihrer Operation etwas geraucht hatten, aber damals war er von einer simplen Zigarette ausgegangen: Dass die beiden im Krankenhaus kiffen würden, hätte er nie für möglich gehalten. Nun verstand er, dass sein alter Kumpel nach Inkens Tod spurlos verschwunden war, aber davon erzählte er der Polizei nichts.
Die Kinder ließ er in dem Glauben, dass es der Krebs gewesen war, der ihre junge Mutter hinweggerafft hatte. Die Ironie an der Sache war, dass Dr.Danzig ihm später noch versicherte, dass er mit der Operation zunächst jede Gefahr hatte bannen können; Inkens Panik war also unbegründet gewesen.
Vor drei Wochen hatten sie sie beerdigt, gemeinsam mit Luzie der Ersten. Lotte hatte sich von ihrer Lieblingspuppe getrennt, damit ihre Mutter nicht so alleine war. In der ersten Woche bestand sie darauf, die beiden jeden Tag zu besuchen, danach reduzierte Niklas die Fahrten zum Friedhof auf einmal pro Woche. Leider konnte er die Kleine nicht überzeugen, sich von ihrem schwarzen Rollkragenpulli zu verabschieden, den sie seit der Beerdigung jeden Tag tragen wollte, bis er ihn eines Tages so heiß wusch, dass er nur noch Luzie der Zweiten passte.
Lotte sprach selten über ihren Verlust, aber Niklas hatte mit angehört, wie sie sich mit ihrer Freundin Maki austauschte, deren Vater im vergangenen Jahr gestorben war. Manchmal weinte die Kleine im Schlaf, wenn ein Albtraum sie gequält hatte. Einmal fragte sie sogar, als sie mitten in der Nacht wach wurde: »Kommt uns jetzt der Papa holen?«
»Keine Angst, Schatz, der weiß gar nicht, wo ihr seid«, versuchte Niklas, sie zu beruhigen.
In solchen Nächten nahm er sie mit zu Oliver ins Bett – ein Recht, das er Hannes aus verschiedenen Gründen nicht einräumen mochte. Der Junge nässte gelegentlich ein. Ungefragt riet Mutter Tiedemann, ihn nachts aufzuwecken und auf die Toilette zu schicken. Am besten sollte man ihn zwei Stunden vorm Zu-Bett-Gehen gar nichts mehr trinken lassen, aber das kam den beiden Vätern grausam vor. Oliver meinte, wenn das die Foltermethoden waren, mit denen Niklas erzogen worden war, wundere ihn gar nichts mehr.
Die Männer taten, was sie konnten, um die Kinder von finsteren Gedanken abzulenken. Kurz nach Inkens Beerdigung zog Niklas mit Lotte los, um sie für den Frühling neu einzukleiden. Da Hannes nach fünf Minuten in Kaufhäusern unruhig wurde und aggressiv, wenn man nicht nach weiteren fünf Minuten den Laden verlassen hatte, schlug Oliver vor, währenddessen auf der Rheinwiese Fußball
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