Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kindsköpfe: Roman (German Edition)

Kindsköpfe: Roman (German Edition)

Titel: Kindsköpfe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriss Rudolph
Vom Netzwerk:
nimmst einfach beides mit, den Rucksack und den Ranzen. Einverstanden?«
    Lottes Miene hellte sich deutlich auf. Niklas setzte ihr den Ranzen auf den Rücken und hielt ihr die Trageriemen des Rucksacks bereit, sodass sie keine andere Chance hatte, als ihn vor der Brust zu tragen. Sie betrachtete ihren Onkel misstrauisch, versuchte aber tapfer, den Rucksack aufzusetzen. Eingekeilt zwischen Ranzen und Rucksack stand sie da und konnte sich nicht mehr bewegen.
    »Sieht super aus!«, sagte Niklas. »Jetzt müssen wir aber schnell los.«
    Lotte wagte einen unsicheren Blick zu ihrem Bruder, der sie freundlicherweise darauf hinwies, dass ein Rucksack auf den Rücken gehörte.
    »Da sitzt ja schon der Ranzen!« Niklas warf die Hände in die Luft, als wüsste er nicht weiter.
    »Kannst du den Rucksack für mich tragen?«, fragte Lotte kleinlaut, als sie spürte, dass sie gelinkt worden war.
    »Würde ich gerne, Schatz. Aber der passt farblich leider überhaupt nicht zu meiner Jacke.«
    Lotte gab auf und schleuderte ihren Rucksack ins Kinderzimmer. Dann scheuchte Niklas die beiden aus der Wohnung und hetzte mit ihnen zum Auto. Es war nicht mal halb acht, aber er fühlte sich, als hätte er bereits einen 12-Stunden-Tag hinter sich. Doch er riss sich zusammen und sagte sich, dass dies jahrelang Inkens Alltag gewesen war, und sie hatte es schließlich auch geschafft.
    Seine Schwester fehlte ihm.

    Als die Betäubung von Schwester Erika nachgelassen hatte und er wieder zu Bewusstsein gekommen war, befand sich Niklas zu Hause in seinem Bett. Oliver lag quer neben ihm und schnarchte. Auf dem Nachtschrank stand ein Topf mit angebranntem Schokoladenpudding, den er für Niklas gekocht hatte, leider ungenießbar, aber er hatte sowieso keinen Hunger.
    Es war kurz vor vier. Für einen Moment glaubte er, aus einem bösen Traum erwacht zu sein, und lief ins Gästezimmer, wo er die Kinder friedlich schlafen sah. Dann schlich er auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch stand die Tasche, die seine Mutter vor zwei Tagen für Inken gepackt hatte. Er hob sie auf, umschlang sie mit beiden Armen und setzte sich damit aufs Sofa. Langsam begann er vor- und zurückzuwippen, immer wieder, und starrte dabei vor sich hin.
    Nach einer Weile stand er auf und begann seine Möbel zu verrücken. Er schob die Kommode etwas näher an den Serviceschrank, und das Nierentischchen mit den Zeitschriften fand einen neuen Platz neben dem Sofa. Oliver, vom Krach wach geworden, kam schlaftrunken dazu und fragte seinen Freund, was er damit bezweckte, doch statt zu antworten, bat Niklas ihn, das Sofa gemeinsam ein wenig zurückzusetzen.
    Als schließlich eine ganze Ecke frei geräumt war, betrachtete er ihr Werk und sagte: »Hier wäre ein guter Platz für deinen Schaukelstuhl, findest du nicht?«
    Ganze drei Tage hatte Oliver gebraucht, um seine Wohnung aufzulösen. Dann hatte er sein geliebtes Köln verlassen und war bei Niklas eingezogen. In einer Kneipe in der Altstadt fand er kurzfristig einen Job, wo er gegen seine Überzeugung Altbier zapfen musste. Da er nachts arbeitete, kümmerte sich Niklas morgens um die Kinder, und am Mittag trat Oliver wieder auf den Plan. Er holte Lotte aus der Schule, Hannes aus dem Kindergarten und verteilte sie später wieder ans Ballett und an die Logopädin. In der Agentur arbeitete Niklas nur noch halbe Tage und erledigte den Rest zu Hause, wo er in Ermangelung eines Büros die Küche belegte. Auf Dauer war jedoch Niklas’ Wohnung für vier Leute zu klein. Lotte und Hannes, die gemeinsam das ehemalige Büro bewohnten, sollten ihre eigenen Zimmer bekommen, und Niklas brauchte eher früher als später einen Raum, in dem er ungestört arbeiten konnte. Ein Makler war bereits angeheuert; er sollte in Erfahrung bringen, ob das Haus mit Turm und Rheinblick zu mieten war.
    Für die neue Arbeitssituation bekam er die volle Unterstützung der Agentur. Sein Creative Director, seit über 30 Jahren kinderlos verheiratet, gratulierte ihm zu seiner Entscheidung mit einer herzlichen Umarmung, die Niklas etwas unangenehm war. Vor kurzem hatte Wittenberg seinen 55. Geburtstag gefeiert, und die gesamte Belegschaft war dabei gewesen, außer Niklas, der nicht gerne Beruf und Privates vermischte. Wittenberg hatte ihn gefördert, seit er zum ersten Mal einen Fuß in die Agentur gesetzt hatte. Wenn er wegen seiner kranken Frau tatsächlich irgendwann ausscheiden sollte, würde Niklas als Nachfolger aufrücken, das hatte der Agenturchef bereits

Weitere Kostenlose Bücher