Kindsköpfe: Roman (German Edition)
Trödelmarkt statt. Ein Umschlagplatz für antike Tischchen und Schränke ebenso wie für ausgelatschte Turnschuhe, geschmackloses Teegeschirr mit Blümchendekor oder auch niegelnagelneue Handys, die vom LKW gefallen waren; nebenbei war der Markt ein beliebter Flanierplatz für verliebte Pärchen zwischen Frühstück und Rückkehr ins Bett.
Oliver war spät von seinem Kneipenjob heimgekommen, und so fuhr Niklas allein mit den Kindern. Zunächst versorgten sie Inkens Grab mit frischen Blumen. Lotte verfiel wie gewöhnlich in trauriges Schweigen, sobald sie sich unter die Obhut der dichten Tannen begaben, die ihren Mantel diskret über die Gräber breiteten. Auf dem Friedhof verwandelte sich die freche Göre in ihr exaktes Gegenteil und wollte Niklas nicht von der Seite weichen. Hannes schien weniger bekümmert; wie jedes Mal lief er voraus, um als Erster bei seiner Mutter zu sein. Heute brachte er ihr das Porträt vom Piratengott, den er im Kindergarten gemalt hatte und der sie beschützen sollte: ein alter Mann mit weißem Bart und Ohrringen bis zum Knie. Niklas entfernte einige trockene Blätter vom Grab, während Lotte Wasser holte, um die Blumen zu gießen. Als sie fertig waren, nahmen sie sich an die Hand und standen eine Weile im Halbkreis da. Hannes summte ein neues Lied, das er im Kindergarten gelernt hatte. Dann verabschiedeten sie sich und verließen den Friedhof in Richtung Flohmarkt.
Angelockt von Sonnenschein und frühlingshaften Temperaturen, schoben sich Menschenmassen zwischen den Ständen hindurch, getrieben von der Lust am Überflüssigen. Lotte und Hannes, die die Gräber schweigsam verlassen hatten, kamen hier wieder auf andere Gedanken. Sie liebten es, in Wühltische einzutauchen, grellfarbene Hemden aus stinkendem Polyester anzuprobieren und sich dabei ein anerkennendes »Geil!« zuzurufen oder einfach nur die anderen Besucher anzustarren, die an ihnen vorbeiströmten.
Die Kinder wussten, warum sie hier waren, und hatten den Auftrag, Ausschau zu halten. So streunten sie zunächst zwischen antiken Möbeln umher. Niklas entdeckte ein wunderschönes Gründerzeit-Nachtschränkchen aus furniertem Nussbaum, das mit einem unverschämten Preis ausgezeichnet war.
Irrtümlich hielt er eine junge Frau, die die drei recht ungeniert beobachtete, für zuständig, doch als er sie ansprach, ging sie schnell weiter. Niklas sah sich nach einem Verkäufer um, doch für den Schrank schien sich niemand verantwortlich zu fühlen. Weil sich die Kinder beim Anblick alter Möbel zu Tode langweilten, begannen sie zu drängeln, bis Niklas endlich nachgab. Er beschloss, später zurückzukommen, wenn sie gefunden hatten, wonach sie suchten.
An einem Stand mit Secondhandkleidung probierte ein junger Mann ein Sakko aus dunkelrotem Samt an. Es passte gut zu seinen blonden Haaren, die ihm bis zur Schulter reichten. Als er sich im Spiegel betrachtete, kam ein anderer Junge dazu. Er redete auf den Blonden ein und küsste ihn schließlich.
Lotte starrte fasziniert auf die Männer. »Guck mal, Niklas!«
Er wollte sie wegziehen, doch das Paar war aufmerksam geworden und schaute herüber. Das Mädchen nutzte die Gelegenheit, die Männer bekannt zu machen.
»Mein Onkel hat auch einen Freund. Aber der schläft noch.«
Niklas nickte den Männern freundlich zu und beeilte sich, mit den Kindern weiterzukommen. Dabei zog er Lotte an sich und ließ sie wissen, dass es ihm lieb sei, wenn sie nicht die ganze Welt über sein Privatleben informieren würde.
»Maki sagt, es ist alles gar nicht so schlimm.«
Niklas hatte in der kurzen Zeit als Vater schon so viele Maki-sagt-Sätze gehört, dass er nicht mal mehr bis zum Ende warten musste, um zu explodieren.
»Vielleicht kannst du deiner Freundin ausrichten, dass ich immer noch selber entscheide, was schlimm ist und was nicht!«
Am nächsten Stand entdeckte er die Frau vom Antiquitätenstand wieder. Sie stöberte ohne größeres Interesse in einer Kiste alter Bücher. Als sie sich nach ihnen umdrehte, fragte sich Niklas, ob er Lotte zu laut gemaßregelt hatte. Sie liefen weiter, doch Hannes drückte sich erschöpft an sein Bein, der Junge hatte schon wieder Hunger. Am Stand eines Bäckers kauften sie ein paar Brezeln und suchten nach einem ruhigen Plätzchen, wo sie etwas verschnaufen konnten. Plötzlich zog Hannes an seiner Hand.
»Tuck mal, da drüben!«
Er deutete auf den Stand an der Ecke, den zwei japanische Jungs in Fortuna-Trikots betreuten. Dort lehnte am Fuß ihres Tisches,
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