Kindsköpfe: Roman (German Edition)
weit«, sagte Andrea entschuldigend.
Niklas ließ sich erschöpft auf die Bettkante sinken und wünschte, Oliver wäre hier, aber der war mit Hannes zu Hause geblieben. Die beiden waren kurz vor dem Notarztwagen eingetroffen, der Makler hatte sie gefahren. »Das hast du jetzt von deinen blöden Regeln!«, hatte Oliver geschimpft. Dann nahm er die Tafel und warf sie in den Müll.
»Herr Tiedemann, wir brauchen noch Ihre Unterschrift, dass Sie einverstanden sind mit der Operation«, sagte Schwester Andrea, nachdem Lotte ihren Speiseplan zusammengestellt hatte, und Niklas begleitete sie hinaus.
»Dein Papa ist gleich wieder da«, raunte sie dem Kind noch zu.
»Das ist nicht mein Papa!« Lotte verschränkte ihre kleinen Arme vor der Brust.
Andrea warf Niklas einen mitleidigen Blick zu und schloss die Tür. Dann gingen sie ins Stationszimmer. An der Wand hing ein Kalender mit Katzenfotos. Den Mai schmückte ein besonders freches Exemplar mit rotem Fell, das es sich in einem alten Schuh gemütlich gemacht hatte.
»Bitte hier unten«, sagte Andrea.
Unterschrift des Erziehungsberechtigten , las Niklas.
»Ist das unbedingt nötig?«
»Nur eine Formsache.« Die Schwester drückte ihm einen Kugelschreiber in die Hand.
Niklas zögerte. Das schlechte Gewissen nagte an ihm. Lottes Unfall hätte nicht passieren dürfen. Er war ein schlechter Vater. Nein, das Kind hatte recht: Er war gar kein Vater.
»Ich kann das nicht unterschreiben.«
»Aber die Kleine muss operiert werden. Das hat Ihnen der Doktor doch sicher erklärt.« Die Schwester sprach wie zu einem Schwachsinnigen und baute sich mit ihren breiten Schultern bedrohlich vor ihm auf. Sie hatte es nicht gerne, wenn ihre Arbeit unnötig erschwert wurde.
Schweren Herzens gab Niklas ihr den Kugelschreiber zurück.
»Kann ich mal telefonieren?«
Nachdem er mit Wolfram gesprochen hatte, ging er zu Lotte zurück, doch die weigerte sich, mit ihm zu reden. Alle Versuche, sie aufzumuntern, schlugen fehl. Als er ihr von der Hausbesichtigung vorschwärmte, funkelte sie ihn an.
»Ich will nicht in dieses beschissene Scheiß-Haus einziehen, ich will zu meinem Papa!« Das Kind hatte Tränen in den Augen und steckte Niklas damit an.
»Dein Papa ist unterwegs, er muss gleich hier sein.«
Lottes Augen begannen zu leuchten.
»Nimmt er mich und Hannes dann mit zu sich nach Hause?«
In Niklas’ Hals bildete sich ein Kloß. »Ich weiß nicht … Würdest du das denn wollen?«
Lotte nickte heftig.
»Obwohl er dich und deinen Bruder damals verlassen hat?«
Lotte nickte wieder, wenn auch etwas weniger überzeugt.
»Und es deine Mama sehr traurig gemacht hat?«
Lotte hörte auf zu nicken.
»Sei nicht allzu enttäuscht, falls es nicht passiert.« Niklas drückte die Hand der Kleinen und beeilte sich, das Zimmer zu verlassen.
Es war immer noch angenehm warm draußen, und die Luft roch nach Sommer. Niklas ließ seinen Blick am Krankenhausgebäude emporwandern, das klobig und hässlich in den dämmrigen Himmel ragte. Die Tage hier endeten früh, doch aus einigen Zimmern drang noch Licht. Hinter einem der Fenster im fünften Stockwerk entdeckte er jemanden. Es war seine Schwester. Sie sah wunderschön aus, ihr schwarzes Haar glänzte, und ein stilles Lächeln schmückte ihren Mund. Inken öffnete das Fenster.
»Warum hast du nicht einfach unterschrieben?«
»Es tut mir leid, es ging nicht.«
Inken schwang ihre Beine über das Sims.
»Dafür bin ich jedenfalls nicht gesprungen, dass du die Kinder einfach ihrem Erzeuger überlässt.«
»Hatten Sie ein Taxi bestellt?«, rief plötzlich eine Stimme hinter ihm, und Niklas sprang schnell in den Wagen. Durch die Heckscheibe sah er, dass seine Schwester verschwunden war.
Lotte überstand die Operation sehr gut. Der Knochen wurde mit Schrauben fixiert, damit er wieder genau zusammenwachsen konnte. Wer immer ihr Zimmer betrat, wurde genötigt, den Gips zu unterschreiben – und wenn es die Putzfrau war. Auf Lottes wiederholtes Quengeln hin wurde auch das Bein von Luzie der Zweiten eingegipst. Nachdem jedoch Maki, Oliver und Niklas das Puppenbein signiert hatten, fand sich dort kein Platz mehr für weitere Autogramme.
Der Heilungsprozess bei den Männern gestaltete sich schwieriger. Oliver gab Niklas die Schuld für Lottes Sturz. Er warf ihm vor, Entscheidungen, vor allem solche, die die Kinder beträfen, über seinen Kopf hinweg zu fällen. Diese Vorhaltungen fand Niklas kleinlich, zumal es sich um die Kinder seiner Schwester
Weitere Kostenlose Bücher