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Kindsköpfe: Roman (German Edition)

Kindsköpfe: Roman (German Edition)

Titel: Kindsköpfe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriss Rudolph
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fragte Niklas, bevor Schwester Andrea etwas antworten konnte.
    »Ihre Mutter.« Der Pfleger kaute weiter auf dem kleinen weißen Plastikrohr herum.
    Niklas hätte ihn am liebsten geohrfeigt. »Lottes Mutter ist tot.«
    »Dann eben ihre Stiefmutter.«
    »Hallo? Schwester?«, quengelte der Neuzugang für die 17.
    »Diese Frau hatte kein Recht, das Kind abzuholen.« Niklas begann langsam zu verzweifeln. Offenbar hatte er Petra unterschätzt. Nun stand er hier in diesem Irrenhaus und verlor kostbare Zeit.
    »Okay, ganz ruhig!« Der Gescholtene hob die Hände abwehrend in die Luft. »Lotte hat mich gebeten, ihren Vater anzurufen. Weil sie wollte, dass er sie abholt. Aber der konnte nicht, also hat er seine Frau geschickt. Klar?«
    Das Einzige, was Niklas klar fand, war die Tatsache, dass hier jemand versuchte, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
    »Warum hätte Lotte gewollt, dass ihr Vater sie abholt?«
    »Weil sie sauer ist auf Sie, Mann!«
    »Junger Mann? Ich kann nicht mehr sitzen«, rief die Dame im Rollstuhl und wurde endlich erhört. Andrea schlug vor, sie vorübergehend in einem anderen Zimmer unterzubringen, wo schon ein sauberes Bett bereitstand.
    Niklas war so sprachlos, dass er sie ziehen ließ.
    »Tut mir leid.« Die Stationsschwester bügelte mit flachen Händen an den Hüften ihres Kittels entlang. »Kann ich noch irgendetwas für Sie tun?«
    Niklas ließ sie ohne eine Antwort zurück und fand sich fünf Minuten später vor dem Krankenhaus wieder und starrte hinauf zu dem Zimmer, in dem Lotte noch bis vor Kurzem gelegen hatte. Er wusste nicht, was er tun sollte. Vielleicht war alles nur ein Spiel, und das Kind würde sich jeden Moment zeigen und dem Spuk ein Ende machen?
    Am Fenster tat sich etwas. Niklas erkannte den Pfleger an seinen Rastalocken. Er spuckte den Plastikstiel aus, auf dem er unentwegt herumgekaut hatte, und verschwand wieder. Dann kamen die Luftballons, sie waren gelb und lila, Lottes Lieblingsfarben. Einer nach dem anderen wurde in die Freiheit entlassen. Die Ballons stiegen langsam, aber stetig in den blauen Maihimmel. An ihrer Oberfläche spiegelten sich die Strahlen der Mittagssonne, die ein funkelndes Leuchten in ihnen entfachten. Die meisten Luftballons blieben dicht beisammen, als trauten sie sich nicht recht hinaus in die Welt, weil sie nicht wussten, was sie erwartete. Doch vereinzelt rissen ein paar Exemplare aus. Ein kleiner gelber Ballon entfernte sich von der Truppe und zog direkt zur Sonne, als wäre sie seine große Schwester.
    Niklas schaute ihnen noch eine Weile nach, bis sie zu winzig kleinen Punkten geworden waren, die sich schließlich in himmelblaues Nichts auflösten. Von irgendwo trug der Wind das Läuten von Kirchenglocken herüber, und Niklas stellte fest, dass es Zeit war, Hannes vom Kindergarten abzuholen. Unterwegs rief er Oliver an, doch der schlief offenbar noch. Er hinterließ ihm eine Nachricht und überlegte fieberhaft, wie man Lotte aus den Fängen ihres Vaters und seiner neuen Frau befreien konnte. Während er versuchte, einen Plan ins Auge zu fassen, wurde er parallel von einem anderen Gedanken überholt. Es war mehr ein Gefühl, das sich langsam manifestierte, eine Art Vorahnung. So wurde er automatisch schneller. Er hatte viel zu viel Zeit im Krankenhaus vertan.
    Niklas raste durch Oberkassel. Auf der Luegallee ließ er zwei dunkelrote Ampeln hinter sich. Einem Bus nahm er beim Linksabbiegen so haarscharf die Vorfahrt, dass er noch den Windstoß spürte, den er beim Vorbeifahren seinem Heck versetzte.
    Er erreichte den Kindergarten in einer Rekordzeit von acht Minuten. Als ihn die Erzieherin mit offenstehendem Mund und großen Augen empfing, wusste er, dass er zum zweiten Mal an diesem Tag verloren hatte.

    Niklas war dafür, sofort nach Mettmann zu fahren und die Kinder zurückzuholen. Er war so zornig, dass Oliver Mühe hatte, ihn aufzuhalten. Auch seine Mutter, die mit Maki bei Pino gewartet hatte, appellierte an seine Vernunft.
    »Willst du Wolfram die Kinder wieder wegnehmen, wie ein Spielzeug im Sandkasten?«
    »Charlie würde sowieso nicht mitkommen«, sagte Lottes Freundin.
    Zerknirscht blickte Niklas in die Runde.
    »Was sollen wir sonst tun? Abwarten, bis sie mir verzeiht?«
    Er rief beim Jugendamt an, doch Herr Lothar hatte Urlaub, und Niklas mochte sich niemandem sonst anvertrauen. Da schlug Oliver vor, einen Anwalt einzuschalten.

    Den massiven ledernen Dreisitzer im Wartezimmer von Tiggelkamp & Gesell mochte eine saftige

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