Kindsköpfe: Roman (German Edition)
netter zu mir sein«, zog er sie auf. Aber das machte die Sache noch schlimmer.
»Ich will dich gar nicht heiraten«, schimpfte sie. »Du bist ja schwul.«
Niklas sah schon, wie die Hand seines Freundes in die Höhe schnellte, aber dann konnte der sich im letzten Moment noch zurückhalten.
Regeln bedeuteten Lotte nichts mehr. Wenn man sie für einen Fehler rügte, verlangte sie zu ihrem Vater gebracht zu werden, denn der – das stand für sie außer Zweifel – würde nicht mit ihr schimpfen.
Sie war so schlecht gelaunt, dass es sie nicht weiter störte, als sie sich bereits nach drei Tagen uneinholbar ins Minus geflucht hatte. Auf der Tafel, die für alle gut sichtbar oben auf dem Küchenschrank stand, führte sie mit 30 Punkten, und da waren die neueren Kraftausdrücke, die Lotte aus dem unerschöpflichen Fundus ihrer japanischen Freundin bezog, noch gar nicht berücksichtigt. Die alte Schultafel hatte in der Einführungsphase einen einwandfreien Dienst geleistet. Nun erinnerte sie nur noch daran, wie schlecht die Stimmung war. Niklas fiel es immer schwerer, zu Hause zu arbeiten. Erleichterung, und wenn er Glück hatte auch Inspiration, fand er beim Joggen.
Eines späten Nachmittags, es war schon gegen Ende seiner üblichen Runde, hatte sich die gewünschte Entspannung nicht einstellen wollen. Was schlimmer war: Er verspürte nicht die geringste Lust, nach Hause zurückzukehren und die frische Rheinufer-Brise gegen die heimische dicke Luft einzutauschen. Als er sich seinem Traumhaus näherte, überlegte er, eine zweite Runde dranzuhängen. Da entdeckte er das Schild im Fenster. Das Haus stand schon eine ganze Weile leer, aber nun endlich sollte es vermietet werden. Niklas prägte sich die Nummer ein und lief beschwingt nach Hause.
»Wat Ähnlischet finden Se so schnell nit nommal «, schwärmte der Makler am Telefon in breitestem Rheinländisch. » Fünf Wohnräume, schön mit Parkett, zwei Badezimmer, jroßzüjijer Jarten, Blick aufen Rhein – is wie für Ihre Bedürfnisse jemacht. Und se können sofocht einziejen . «
Aufgeregt trommelte Niklas seine kleine Familie zusammen. Hannes lag schon mit einem Bein im Bett und hatte seinen Schlafanzug verkehrt herum angezogen. Lotte konnte erst mit einer Extra-Einladung vom Fernseher weggelockt werden, war dann aber umso begeisterter von dem Plan einer abendlichen Hausbesichtigung. Leider hatte Niklas schlechte Nachrichten für sie.
»Mit dem Punktestand wird das schwierig, mein Schatz.« Niklas deutete auf die Tafel. »Aber du kannst es dir noch aussuchen: Entweder du bleibst hier, oder deine Freundin LaFee wandert für eine Woche in den Keller.«
Oliver holte tief Luft und versuchte, einzugreifen.
»Oder du lässt dir etwas einfallen, wie die Punkte ganz schnell wieder von der Tafel verschwinden.«
»Nik, findest du nicht … « Oliver wollte für Lotte Partei ergreifen.
»Doch«, unterbrach Niklas ihn schnell, »ich finde, wir sollten sofort aufbrechen und den Makler nicht warten lassen. Er kommt extra aus deiner Lieblingsstadt.«
Lotte teilte ihnen das Ergebnis ihrer Entscheidung mit, indem sie ins Badezimmer lief und die Tür zuknallte, nicht ohne zuvor ihren Punktestand lauthals zu verdoppeln.
Es dämmerte bereits, als sie ankamen, und der Makler, ein kleiner Mann mit üppigem Schnörres und getönter Brille, hatte überall Licht gemacht. Das Haus strahlte aus allen Poren; es wirkte wie eine Vision.
Auf jeder Etage gab es drei Zimmer, den Turmfortsatz noch nicht mitgerechnet. Alle konnten also ihr eigenes Reich haben, sogar Niklas und Oliver, und dann gab es sogar noch Platz für ein Gästezimmer.
»Wo muss ich unterschreiben?«, sagte Niklas aufgeregt, während er versuchte, Hannes davon abzuhalten, Fingerabdrücke an jedem Fenster zu hinterlassen.
Der Makler wies die Männer darauf hin, dass sie nicht die Einzigen waren, die sich vorstellen konnten, hier zu wohnen, und ließ sich ihre Namen in seinen silbernen Füllfederhalter diktieren.
»Unn … Se würden hier zusammen einziejen?«
Der Makler betrachtete das Paar durch seine bläulichen Brillengläser. Niklas rechnete schon damit, hinauskomplimentiert zu werden. Doch dann hielt der Makler inne, betrachtete ihre Namen und fuhr sich nachdenklich mit Daumen und Zeigefinger über seinen Schnörres.
»Heinze …? Kenn isch Ihre Elltern von den Korsaren?«, wandte er sich an Oliver.
»Korsaren?«, staunten Niklas und Hannes im Chor.
»Seit über vierzig Jahren«, grinste Oliver und fing an zu
Weitere Kostenlose Bücher