Kindsköpfe: Roman (German Edition)
Unterhaltsklage finanziert haben. Das Honorar eines zähen und langen Sorgerechtsprozesses hatte sich vermutlich in die traumhafte Chippendale-Kommode in der Ecke verwandelt, die Niklas neidisch betrachtete. Und von irgendeiner schmutzigen Vaterschaftsklage hatte sich die mandeläugige Sekretärin das Nadelstreifenkostüm gegönnt, in dem sie die Männer nach einer halben Stunde endlich zum Büro von Tomas Gesell führte.
»Kaffee? Tee? Sherry?«
Sie wurden von einem Mann mit energischem Gesicht und kantigen Zügen empfangen. Der Anwalt saß an einem ordentlich aufgeräumten Schreibtisch aus Plexiglas, auf dem sich ein Tablett mit Kaffee und verschiedenen alkoholischen Getränken befand. Beim Nähertreten stellte Niklas fest, dass Herr Gesell sich nachlässig rasiert hatte, unter seinen Augen verliefen dunkle Ringe. Er war offenbar nicht in bester Verfassung.
Während Niklas schilderte, was am Vormittag geschehen war, machte der Anwalt Notizen mit einem goldenen Füller.
»Okay. Und wer von Ihnen beiden ist der Vater?«
»Niemand«, erklärte Niklas. »Die Kinder sind jetzt beim Vater.«
Wie in Zeitlupe legte Gesell seinen Füller neben einem verchromten Bilderrahmen nieder. Niklas fragte sich, was für ein Foto darin steckte.
»Spricht etwas dagegen, dass sie beim Vater leben? Ist das Wohl der Kinder gefährdet? Gibt es handfeste Gründe, sich Sorgen zu machen?«
»Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Reichen für den Anfang zehn?«
Herr Gesell lehnte sich zurück und verschränkte seine Hände hinter dem Kopf. Erwartungsvoll zuckten seine Augenbrauen.
»Sie haben Lotte regelrecht aus dem Krankenhaus entführt«, sagte Niklas, doch der Anwalt wollte ihn nicht verstehen.
»Besteht die Gefahr, dass der Vater die Kinder schlägt? Misshandelt oder vernachlässigt er sie? Betrinkt er sich, während die Kinder noch nach Sonnenuntergang auf der Straße spielen und … sagen wir … Autos klauen?«
»Lotte geht in die zweite Klasse!«, warf Niklas aufgebracht ein.
»Es ist doch nur ein Beispiel, Nik.« Oliver schob ihm die Hand auf den Oberschenkel – eine Geste, die der Anwalt interessiert zur Kenntnis nahm.
»Wolfram und die Kinder sind praktisch Fremde«, erklärte Niklas. »Wir sind ihre Familie.«
»Wie ist es damals zur Trennung gekommen?«
Dankbar für diese Frage berichtete Niklas ausführlich, wie Wolfram kurz vor Weihnachten seine Familie ihrem Schicksal überlassen hatte.
Gesell unterdrückte ein Gähnen, und Niklas glaubte, eine leichte Fahne zu riechen.
»Haben die Kinder seitdem jemals den Wunsch geäußert, beim Vater zu sein?«
»Nicht ernsthaft.«
Das Telefon klingelte. Genervt hob der Anwalt ab und horchte in die Leitung.
»Da kann ich nicht. Sagen Sie ihr, das geht so kurzfristig nicht.«
Er knallte den Hörer auf und schenkte sich Sherry ein, entschied sich aber dann doch für Kaffee.
»Wie gesagt«, brachte sich Niklas in Erinnerung, »fast zweieinhalb Jahre kein Wort.«
»Hat Ihre Schwester zu Lebzeiten den Kontakt zum Vater gefördert?«
»Warum hätte sie das tun sollen?«
»Sie sollten sich wirklich gut überlegen, ob Sie einer Versöhnung der Kinder mit ihrem Vater weiterhin im Wege stehen wollen.«
Niklas sprang auf. »Auf welcher Seite sind Sie eigentlich?«
»Eltern, also Mütter und Väter, haben in diesem Land das natürliche Recht, ihre Kinder zu erziehen und sie zu pflegen. Aber abgesehen davon … «
»In dieser Republik vergeht kaum ein Monat, in dem nicht irgendwo verwahrloste oder verhungerte oder zerstückelte Kinder gefunden werden. Kinder von ach so tollen Eltern, die Sie hier verteidigen!«
»Das Grundgesetz garantiert … «
»Ich pfeife auf das Grundgesetz, wenn es gegen mich verwendet wird!«
Es fehlte nicht mehr viel, und Niklas hätte dem Anwalt die Augen ausgekratzt. Behutsam zog Oliver seinen Freund zurück auf den Stuhl und nahm den Faden wieder auf.
»Abgesehen davon?«
Gesell stützte seine Ellenbogen auf den Schreibtisch und presste die Fingerspitzen aufeinander. Er schien nach den richtigen Worten zu suchen.
»Sie sagten doch, dass Sie eine Familie sind?«
»Ist das so absurd?«
»Besuchen Sie die Kinder ab und zu bei Ihrem Schwager, das ist besser als nichts. Vor allem stressfrei. Ich weiß, wovon ich rede.«
Nun trank der Anwalt doch noch seinen Sherry, und Niklas griff in seinem Zorn nach dem verchromten Bilderrahmen. Das Foto zeigte den Anwalt gemeinsam mit einem kleinen stupsnasigen Mädchen auf einer Schaukel.
»Sie
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