Kindsköpfe: Roman (German Edition)
wartete, dass seine Nachbarin die Tür öffnete, tat er selbiges mit der Post. Als Frau Metternich sich endlich von ihrem Sofa erhoben und die beschwerlichen Schritte zur Tür gemacht hatte, war niemand mehr da.
Niklas saß bereits im Auto, Richtung Köln. Der Brief vom Amtsgericht lag aufgeschlagen auf dem Beifahrersitz. Per einstweiliger Verfügung wurde ihm verboten, Inkens Kindern näher als 100 Meter zu kommen. Petra und Wolfram hatten an Eides statt erklärt, es bestehe dringender Verdacht, dass der Onkel plante, die beiden zu entführen.
Sie hatten einen Kreidekreis um Lotte und Hannes gezogen, und Niklas durfte nicht hinein.
16 : That’s amore
»Das ist ja eine Überraschung!«
Eva trug ein leichtes Sommerkleid und strahlte ihren Besucher an. Sie sah hübsch aus. Hübscher, als Niklas sie in Erinnerung hatte.
»Schön, dass du uns mal besuchst.«
Als Niklas das Wort ›uns‹ vernahm, wollte er direkt wieder umkehren. Aber da war er schon in ihren Armen gefangen. Er fragte sich, was er eigentlich hier suchte.
»Komm doch rein!«
Bevor Niklas sich wehren konnte, stand er in Evas Wohnung. Es war eine hübsche kleine Mädchenbude. Die Türrahmen waren in verschiedenen Farben lackiert, das Wohnzimmer wurde durch einen orange-braunen Flattervorhang vom Flur abgetrennt. Niklas erschrak, als er Olivers Schaukelstuhl dort entdeckte. Dieser Anblick war noch unerträglicher als die neue Definition von uns .
Eva führte ihren Gast auf den Balkon, wo sie ein roter fransiger Schirm vor der Sonne schützte. Gedämpfter Straßenlärm vermischte sich hier mit dem Summen fleißiger Bienen, die zwischen gelben Ranunkeln und violetten Margeriten hin und herflogen. Eva bot ihm selbstgemachte Zitronenlimonade an, doch Niklas lehnte ab.
»Ich wollte mit Oliver sprechen.«
»Der ist leider nicht da.«
Niklas versuchte nicht zu offensichtlich auf ihren Bauch zu starren. War es schon geschehen? Noch konnte er nichts erkennen.
»Ist was passiert, Niklas?«
Für einen Moment überlegte er, Eva von der einstweiligen Verfügung zu erzählen, aber dann schämte er sich plötzlich.
»Nein, ich war nur gerade in der Nähe. Wie geht es dir?«
»Blendend«, lachte Eva. »Es ist endlich Sommer.«
Er nickte. »Und euer Programm?«
»Läuft gut. Nächste Woche machen wir eine kleine Tournee.«
»Schön. Die Premiere war ziemlich … aufregend.«
Sie blinzelte in die Sonne und strich mit der Hand über ihren Bauch. »Ich muss leider gleich zur Probe. Willst du hier auf ihn warten?«
»Neinnein, ich komme ein anderes Mal wieder.«
Eva brachte Niklas zur Tür, wo sie ihn zum Abschied in den Arm nahm.
»Es ist noch nicht zu spät. Du kannst jederzeit wieder einsteigen.«
Niklas schüttelte den Kopf. Was ihm gerade noch gefehlt hatte, war Evas Mitleid. Mit einem Mal fühlte er sich endlos allein.
»Sag Oli nicht, dass ich da war.«
Danach lief er ziellos durch Köln. Vielleicht erzählte Eva Oliver doch von seinem Besuch, und wenn er Niklas anrief, konnte er so tun, als sei er zufällig noch in der Stadt. Er setzte sich an den Rhein und beobachtete die Menschen, die an ihm vorbeiflanierten. War es möglich, dass sich hier mehr Paare tummelten als in Düsseldorf? Und wenn ja, hatten die alle kein Zuhause? Abgestoßen von seiner Eifersucht, lief er zurück in Richtung der großen alten Kirche, die die Leute Dom nannten. Die Studentengruppe fiel ihm schon von weitem auf. Sie hielten Pappschilder in die Höhe, auf denen sie Free Hugs anboten. Es waren vier Mädchen und ein Junge, alle nicht viel älter als zwanzig. Viel Erfolg hatten sie mit ihrem Angebot kostenloser Körperkontakte nicht. In den zehn Minuten, die Niklas sie beobachtete, warf sich nur ein einziger Tourist in die Arme eines Mädchens und zerknickte dabei seinen Stadtplan.
Niklas flüchtete in den Dom und harrte im nördlichen Seitenschiff in der kühlen Dunkelheit aus. Er betrachtete die Fenster, die die Anbetung der Heiligen Drei Könige und die Marienkrönung abbildeten. Als ein junges Paar mit einem kreischenden Baby die Kathedrale betrat, beschloss er, heimzufahren.
Es war früher Abend, als er den Wagen abstellte. Er schloss die Haustür auf, doch er ging nicht hinein. Nichts zog ihn in seine leere Wohnung. Lange Zeit hatte er es genossen, dort allein zu sein, aber er wusste nicht mehr, wie das ging.
Pinos Laden brummte, alle Plätze waren besetzt, doch Niklas durfte an dem kleinen Tisch am Fenster sitzen, der für das Personal reserviert war. Im
Weitere Kostenlose Bücher