Kindsköpfe: Roman (German Edition)
sein Hemd wieder zuzuknöpfen, was Pino zum Lachen brachte. Hatten die Nachbarn etwas gehört? Oder kam jemand nach Hause?
Tatsächlich hatte er mit dem Rücken den Lichtschalter betätigt. Er fühlte sich schlagartig nüchtern, doch gleichzeitig verkatert. Pino grinste ihn an und zeigte seine Grübchen. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte wieder ihn zu küssen, aber vorübergehend gelang es Niklas, sich zu entziehen.
»Das ist nicht richtig, Pino.«
Der Italiener strich ihm zärtlich übers Gesicht. »Oli ist nicht hier.«
»Wenn ich jedes Mal einen anderen küssen würde, bloß weil er gerade nicht … «
Wieder brach Dunkelheit über sie herein, und als sich ihre Lippen erneut berührten, zog Niklas Pino in den Fahrstuhl.
Sein Schädel brummte so sehr, dass er davon aufwachte. Vorsichtig öffnete er ein Auge, um festzustellen, ob Pino noch da war, doch auf diese Gelegenheit hatte die Morgensonne nur gewartet: Sie schickte ihre grellsten Strahlen, und Niklas zog sich eilig die Decke über den Kopf. Blind tastete er die rechte Hälfte des Bettes ab und stellte erleichtert fest, dass niemand da war.
Er kletterte aus dem Bett und schob sich an den Wänden entlang Richtung Bad. Dort öffnete er das Arzneischränkchen, an dem noch Pinos Goldkettchen baumelte, doch die Packung mit den Kopfschmerztabletten war leer. Er hatte vergessen, neue zu besorgen. Fluchend durchforstete er seinen Nachtschrank, doch selbst sein heimlicher Vorrat war aufgebraucht. Auch in seiner Jackentasche wurde er nicht fündig, stattdessen fiel ihm der Brief vom Amtsgericht wieder in die Hände.
Frau Jacobs löste zwei Brausetabletten in einem großen Glas Wasser auf und rührte mit einem extra langen Löffel um. Dann wünschte Tita Pareses Sekretärin gute Besserung und öffnete Niklas die Tür. Er entdeckte seine Anwältin nicht sofort. Parese saß auf dem Boden, vor ihr ein Haufen Bretter, die sie versuchte nach der Beschreibung eines Bauplans zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen. Sozius ließ sich nicht blicken.
»Dann wollen wir mal sehen.« Während die Anwältin den Text der einstweiligen Verfügung studierte, leerte Niklas seinen trüben Cocktail.
»Entführung?« Sie ließ den Brief sinken. Sonderlich verwundert wirkte sie nicht.
»Kein Wort davon ist wahr.« Niklas erzählte, was sich wirklich zugetragen hatte, und Tita Parese begann, kleine schwarze Plastikhaken in zwei besonders lange Bretter zu schrauben.
»Wie auch immer. Dagegen können wir Klage erheben.«
»Falsches Hilfsverb«, korrigierte er sie. »Wir wollen.«
»Gut.« Ihre kleinen schwarzen Augen blitzten anerkennend. »Als Antragsgegner können wir Ihren Ex-Schwager und seine Frau zwingen, die Hauptsache einzuleiten, sprich: das Klageverfahren. Tun sie dies nicht, können wir die Aufhebung der einstweiligen Verfügung beantragen … Halten Sie mal die beiden Bretter hier!«
Niklas war seiner Anwältin gerne behilflich. Die Vorstellung gefiel ihm, dass ihm das Gesetz die Möglichkeit einräumte, Petra zu etwas zu zwingen.
»So ungern ich das … Sie müssen die Bretter gerade halten, und nicht so herumwackeln, Herr Tiedemann … So ungern ich das sage, aber es gibt momentan leider keinen Grund für Ihr Grinsen. So ein Hauptsacheverfahren zieht sich gerne mal ein Dreivierteljahr hin. Ganz zu schweigen davon, müssen wir erst mal abwarten, bis es überhaupt losgeht.«
»In der Zeit kann ich aber wenigstens die Kinder besuchen!« Er mochte keinen Anlass erkennen, warum er seine Zuversicht zurückschrauben sollte. Die Sache würde endlich vor Gericht entschieden, das hatte sich die Neandertalerin schön eingebrockt! Kein Richter, der auch nur halbwegs bei Trost war, würde dieser Frau recht geben.
»Tut mir leid.« Der Kobold huschte auf Knien vor ihm herum und schob nacheinander die Böden des neuen Regals zwischen die Außenwände. »Das Einlegen von Rechtsmitteln entbindet Sie nicht von der Pflicht, sich an die Verfügung zu halten. Bei Zuwiderhandlung droht ein Ordnungsgeld oder sogar Ordnungshaft.«
»Finden Sie das fair?« Er versuchte, die wieder einsetzenden Kopfschmerzen zu ignorieren, die sich in der anfänglichen Euphorie des Gespräches aufgelöst hatten.
»Fairness ist etwas höchst Relatives, Herr Tiedemann.«
Die Anwältin klatschte in die Hände und betrachtete das fertige Bücherregal, das ihr Büro noch enger machte.
»Ich weiß inzwischen, warum Petra die Kinder unbedingt adoptieren will. Sie leidet an Endometriose.
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