Kindspech: Tannenbergs achter Fall
stockte, stellte die Tasse ab und räusperte sich. »Ich glaube, ich würde Amok laufen.«
»Hoffentlich zerbricht er nicht unter dieser enormen psychischen Belastung.«
»Ich hoffe nicht, mein Schatz. Der arme Kerl hat ja wirklich schon genug durchgemacht. Aber das jetzt ist die absolute Horrorversion.«
Sabrina seufzte tief. »Er ist im Moment ziemlich allein.«
»Stimmt, denn seine Familie schiebt garantiert einen mordsmäßigen Hals auf ihn, schließlich ist er der Grund, weshalb die kleine Emma entführt wurde.«
»Eigentlich hat er nur noch Hanne«, bemerkte Sabrina voller Mitgefühl für ihren Chef und väterlichen Freund.
»Und uns«, korrigierte Michael Schauß.
Sabrinas sonnengebräuntes Gesicht leuchtete auf. »Richtig«, bestätigte sie nickend. »Und den Doc.«
»Also ist er doch nicht ganz auf sich allein gestellt.«
»Nein, zum Glück nicht.«
»Na, siehst du. Es wird schon irgendwie gut gehen. Gemeinsam werden wir es bestimmt schaffen, Emma unversehrt zu finden.«
Der Aufmunterungsversuch ihres Mannes konnte Sabrinas depressive Stimmung nicht gravierend verbessern. Sie ließ die Schultern wieder sinken und nickte resigniert. »Wenn ich doch nur wüsste, wie wir ihm helfen könnten.«
»Aber das tun wir doch.«
»Nein, ich meine …« Den Rest des Satzes ließ sie unausgesprochen. Sie trank einen Schluck Kaffee und blickte dabei nachdenklich in den Garten. Auf einem Zierstrauch hatte sich eine Schar Blaumeisen niedergelassen. Zwitschernd stieben sie in die Höhe. »Ich glaube, ich hab da gerade eine Idee«, stieß sie freudig aus.
»Und welche?«
Ohne auf die Frage einzugehen, ergänzte Sabrina: »Die ist zwar ein wenig makaber, aber immerhin wird er dadurch ein bisschen abgelenkt.«
»Na, nun sag schon«, drängte ihr Ehemann.
Sabrina ließ ihn jedoch weiter zappeln. Sie nahm ihr Handy vom Tisch und wählte die eingespeicherte Nummer Tannenbergs. Als dieser sich in mürrischem Ton meldete, sagte sie: »Wolf, ich bin in einer halben Stunde bei dir und hol dich ab. – Nein, wohin wird nicht verraten.« Schmunzelnd wanderten ihre Augen hinüber zu ihrem Mann. »Dir auch nicht. Je weniger wir gegenseitig von unseren separaten Hilfsaktionen wissen, umso besser. Dann müssen wir auch nicht lügen, wenn wir irgendwann danach gefragt werden.«
8 Uhr 45
An der Kreuzung Barbarossaring/Altenwoogstraße kam das silberne Zivilfahrzeug zum Stillstand. Sabrina stellte nun endlich die Frage, die ihr die ganze Zeit über schon auf der Zunge gelegen hatte: »Sag mal, Wolf, weißt du eigentlich inzwischen, worauf Eberle gestern hinauswollte?«
»Womit?«, knurrte Tannenberg.
»Na, als er dich aufforderte, dir mal intensive Gedanken über den Unterschied zwischen einer Suspendierung und einem Sonderurlaub zu machen?«
»Nein, ich weiß es nicht, weil ich es natürlich nicht wissen kann, denn er hat es ja nicht ausgesprochen. Aber ich kann mir sehr wohl denken, was er mir mit dem, was er nicht gesagt hat, sagen wollte. Denn sagen durfte er das nicht, was er mir sagen wollte.«
»Diese Sätze könnten glatt vom Doc stammen«, bemerkte die junge Kommissarin schmunzelnd.
Ein kleines, schelmisches Lächeln huschte über Tannenbergs Gesicht. Er wies auf das unter seinem Leinensakko versteckte Schulterhalfter, in dem seine Dienstwaffe steckte.
»Bei einer Suspendierung hätte ich nicht nur die, sondern auch noch meinen Dienstausweis abgeben müssen«, erklärte er. »Und das wiederum hätte meine Handlungsfreiheit in dem mir verordneten Urlaub enorm eingeschränkt.«
Sabrina lachte auf. »Ach so, du meinst, …«
»Genau das meine ich. Eberle ist schließlich auch ein Familienmensch und kann sich garantiert sehr gut in meine Lage versetzen.«
Plötzlich hupte es hinter ihnen, und Sabrina fuhr mit quietschenden Reifen los. Gleich darauf passierte der Dienstmercedes die Torpedo-Garage. An der Donnersbergstraße empfing sie abermals eine rote Ampel.
»Übrigens wäre ich sowieso heute Morgen zum Friedhof gefahren. Ich lass mir doch meine eigene Beerdigung nicht entgehen«, verkündete Tannenberg in ein bitteres Lachen hinein. »Aber es war trotzdem lieb von dir, dass du an mich gedacht hast.«
Sabrina krauste verwundert die Stirn. »Ich wollte dir eigentlich nur ein wenig Bewegung an der frischen Luft verschaffen. Glaubst du etwa ernsthaft, dass dieser Irre auf dem Friedhof aufkreuzen könnte?«
»Na ja, vielleicht ist er ja wirklich so blöd und will mit eigenen Augen seinen makaberen
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