Kindspech: Tannenbergs achter Fall
nächsten Tür. Der etwa 20 qm große, quadratische Raum beherbergte kein einziges Möbelstück. Lediglich ein Tapeziertisch stand in der Raummitte und fristete in diesem tristen Ambiente ein ebenso zentrales wie einsames Dasein. Drei Wände waren von oben bis unten mit Zeitungsausschnitten und Postern tapeziert. Die vierte Wand war noch gänzlich leer. Er hatte sie eigens freigehalten. Er legte die Sonderbeilage auf den Tisch, dippte den Tapezierpinsel in den mit Kleister halb gefüllten Eimer und bestrich das erste Zeitungsblatt.
Ach, so was Blödes, ärgerte er sich in Gedanken, ich hab ja völlig vergessen, mir ein weiteres Exemplar zu kaufen. Na egal, dann kommen die Rückseiten eben erst heute Abend an die Wand.
Nach getaner Arbeit betrachtete er zufrieden sein Werk.
Anschließend zog er die Wurfpfeile aus einer neben der Tür angebrachten Dartscheibe. Er entfernte sich exakt vier Schritte von der Wand, drehte sich um und zielte auf Tannenbergs durchlöchertes Gesicht. Die Metallspitzen bohrten sich tief in Auge, Nase und Stirn hinein.
»Die haben mal wieder gesessen«, freute er sich. Er fixierte das Foto mit einem bösartigen Blick. »Diese Pfeile können dir leider nicht wehtun. Aber die Dinge, die ich mir für dich ausgedacht habe, werden dir wehtun. Und zwar sehr weh. Das schwöre ich dir. Du hast ja in den letzten beiden Tagen schon einen kleinen Vorgeschmack erhalten.«
Er hob die Brauen, streckte einen Zeigefinger dem verhassten Erzfeind entgegen und zischte mit gefletschten Zähnen: »Alles, was du seit Sonntagfrüh erlebt hast, war nur ein harmloses Vorspiel dessen, was dich nun erwartet. Jetzt, mein lieber Freund, geht’s erst richtig los!«
13 Uhr
Den Morgen hatte Mertel in seinem Labor verbracht und fieberhaft gearbeitet. Dabei hatte er auch die beiden an Tannenberg adressierten Päckchen nebst deren Inhalt auf Täterspuren hin untersucht. Vor etwa einer halben Stunde war er auf ein interessantes Objekt gestoßen: Auf der Unterseite des schwarz gefärbten Tüchleins hatte er eine winzige Hautschuppe entdeckt und sie sogleich dem Rechtsmediziner zur DNA-Analyse gebracht.
Bevor er zum Westpfalzklinikum fuhr, hatte er Sabrina noch darüber unterrichtet. Als Reaktion auf die Beurlaubung ihres Chefs hatten sich die Mitarbeiter des K 1 nämlich zum Aufbau eines Informationsnetzwerkes entschlossen. Es wurde von der jungen Kommissarin koordiniert und hatte den Zweck, jeden der Ermittler permanent über den aktuellen Stand der Recherchen auf dem Laufenden zu halten. Selbstredend waren Tannenberg und Dr. Schönthaler in dieses Netzwerk eingebunden, wogegen Kriminaldirektor Eberle und andere leitende Beamte nicht zu diesem erlauchten Kreis gehörten.
Die breite Berichterstattung der Medien über diesen spektakulären Entführungsfall erzeugte eine enorme Resonanz innerhalb der Bevölkerung. In der Polizeizentrale liefen die Telefone heiß. Doch wie häufig bei solch aufsehenerregenden Kriminalfällen drängten sich vorwiegend Sensationslüsterne und Wichtigtuer in den Vordergrund. Mit ihren Hirngespinsten und haltlosen Verdächtigungen blockierten sie eher die polizeiliche Ermittlungsarbeit, als dass sie diese förderten.
Die Bilanz der Kriminalpolizei zu diesem Zeitpunkt war mehr als ernüchternd. Trotz vieler vermeintlich konkreter Hinweise auf den Aufenthaltsort des entführten kleinen Mädchens konnte Emma bislang nicht gefunden werden. Die meisten der Hinweise mussten allerdings erst noch überprüft werden, doch viel versprachen sich die Ermittler nicht von ihnen.
Peter Walther, der Bruder des zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilten Serienmörders, den Tannenberg vor einigen Jahren auf dem Gartenschaugelände verhaften konnte, hatte ein hieb- und stichfestes Alibi. Eine Überprüfung ergab, dass er zum Zeitpunkt der Entführung gemeinsam mit seiner Familie in einer Ferienanlage in Südfrankreich den Sommerurlaub verbracht hatte.
Bezüglich des während eines Gefangenentransportes befreiten Mafia-Anwaltes Dr. Frederik Croissant gab es keinerlei Neuigkeiten. Trotz intensivster Fahndungsbemühungen der französischen Polizei blieb er auch weiterhin wie vom Erdboden verschluckt.
Die Nachforschungen bei den Kaiserslauterer Taxifahrern verliefen bislang ebenfalls ohne greifbares Ergebnis. Niemandem war offensichtlich das Entführertaxi aufgefallen.
Nach der Verhaftung des Stalkers hatte Tannenberg den Abbau der Fangschaltung im Hause der Unternehmerfamilie Krehbiel angeordnet.
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