Kindspech: Tannenbergs achter Fall
nicht mit diesem ›ESSA‹ zusammen.«
»Sollen Sie auch gar nicht. Jedenfalls jetzt noch nicht. Und die Rechenaufgabe?«
»Die Lösung heißt: Der Raum hat ein Volumen von 15,75 Kubikmetern.«
»Respekt, Herr Hauptkommissar, ich hätte nicht gedacht, dass Sie so gut rechnen können«, lobte die Männerstimme mit unüberhörbar spöttischem Unterton.
»Um welchen Raum geht es denn?«, fragte Tannenberg, obwohl er die niederschmetternde Antwort bereits seit Längerem ahnte.
»Na, das sollten Sie sich inzwischen aber zusammengereimt haben«, höhnte der Entführer. »Natürlich handelt es sich dabei um Emmas Verlies.«
Obwohl er versucht hatte, sich auf diese Mitteilung vorzubereiten, übermannte Tannenberg bei diesem Wort eine heftige Schwindelattacke. Er taumelte, japste nach Luft und sank kraftlos auf den obersten der Kaskadenfelsen nieder.
»Was ist denn los? Sind Sie noch da?«
»Ja«, stöhnte der Kriminalbeamte.
»Schön, schließlich wollen wir noch ein wenig miteinander spielen. In exakt einer Stunde schicke ich Ihnen eine weitere MMS, dann können Sie sich im wahrsten Wortsinne selbst ein Bild von Emmas aktueller Lage machen. Ein kleiner Tipp: Sie müssen nachher ein kleines, aber feines Bilderrätsel lösen.«
»In einer Stunde? Und was soll ich bis dahin tun?«
»Vielleicht wäre ausruhen keine schlechte Idee. Auf Sie warten nämlich noch einige Herausforderungen – physischer und psychischer Art«, fügte Emmas Entführer mit einem gehässigen Kichern an. »Simon says: Verbleibe an Ort und Stelle. Freue dich auf weitere Instruktionen.«
15 Uhr
Die quälende Warterei zermürbte Tannenberg immer mehr: Sein gerötetes und mit unzähligen kleinen Schweißperlen benetztes Gesicht wirkte nach den letzten Stunden um Jahre gealtert. Die körperlichen und seelischen Strapazen hatten ihn ausgemergelt und an seiner Substanz gezehrt. Die vielfältigen Entspannungsversuche waren erfolglos geblieben. Sein von der Psychofolter gemartertes Hirn wollte einfach nicht zur Ruhe kommen.
Genau diese psychische Zerstörung bezweckt dieser Mistkerl. Deshalb darf ich mich nicht davon beeindrucken lassen, lautete einer seiner litaneienartig rezitierten Appelle, die jedoch keinerlei Früchte trugen.
Wiederholt ertappte er sich sogar dabei, dass er sich den nächsten Kontakt zu Emmas Peiniger regelrecht herbeisehnte, nur um endlich aus dieser zersetzenden Untätigkeit herausgerissen zu werden.
Das einzig Gute, das die leidige Zwangspause mit sich brachte, war die Erkenntnis, dass diese nebulöse Buchstabenfolge durchaus einen Sinn ergab. Und zwar dann, wenn man die Zäsur nicht zwischen ›ERST‹ und ›RASSE‹ setzte, sondern hinter ›ER‹. Dann lautete das zweite Wort nämlich ›STRASSE‹.
Womöglich ist das Lösungswort ein Hinweis auf den Ort, an dem er Emma versteckt hält. Wenn ich weiter mitspiele, kann ich vielleicht das Versteck erraten und sie finden. Vielleicht ist der Kerl ja gar nicht so grausam, wie ich die ganze Zeit über angenommen habe. Vielleicht will er sogar, dass ich sie rechtzeitig finde, klammerte sich Tannenberg an einen dünnen Strohhalm.
Dieser Funken Hoffnung verflüchtigte sich jedoch genauso plötzlich wie ein Wassertropfen, der auf eine heiße Herdplatte fiel. Denn die vier exakt um 15 Uhr via MMS übermittelten Fotos ließen nicht viele Interpretationen zu:
Das erste war in dem zum Kindergefängnis umfunktionierten Kellerraum aufgenommen worden und zeigte im Hintergrund den auf einem Podest stehenden Gitterkäfig.
Das zweite dagegen war außerhalb des Gebäudes gemacht worden und wurde von einem in der Hauswand befindlichen Außenwasserhahn dominiert, an dem ein Gartenschlauch angebracht war.
Auf dem dritten Digitalfoto erkannte Tannenberg ein verschlossenes und vergittertes Kellerfenster, in dem ein Schlauch steckte.
Das letzte der MMS-Fotos wiederum zeigte dieses Fenster aus der Kellerperspektive und konfrontierte den Betrachter mit dem Schlauchende, aus dem sich ein dicker Wasserstrahl in Richtung des Betonbodens ergoss.
»Na, mein Lieber, ich hoffe, Sie verstehen die Message. Sind Sie in der Lage, dieses kleine Bilderrätsel zu lösen?«, tönte es aus dem Handylautsprecher.
Im ersten Moment raubte Tannenberg der Schock die Sprachfähigkeit. Doch dann blökte er mit heiserer Stimme. »Du elendes Dreckschwein!«
»Mäßigen Sie schleunigst Ihre Worte, sonst drehe ich den Wasserhahn noch ein bisschen weiter auf – und erhöhe damit die
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