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Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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dann ganz platt war, fast wie auf die Kantstraße hingemalt sah es aus, schwadronierte ich, als die mächtigen Reifen der beiden Hinterachsen über ihn gerollt waren. In voller Länge und Breite. › Leider lag er längs, und nicht quer. Er hatte keine Chance. ‹ Die Besitzerin ächzte und stöhnte. Es war mir ein Hochgenuss. Am nächsten Tag war der Hund wieder aufgetaucht. Er war ein notorischer Streuner. Die Besitzerin erstattete Anzeige gegen mich wegen seelischer Grausamkeit. Es kam zu keinem Verfahren. Sie tauchte nie mehr mit ihrem Hund am Stutti auf. Ich hatte mein Ziel erreicht. Der Hund war weg.
    Aber ich wollte ja Auskünfte haben. »Kennst du eine Frau Stadl?«, fragte ich Willy daher. Es war eine Frage ins Blaue. Vielleicht wusste ja Maria etwas über sie. Wenn, würde sie todsicher nicht damit hinter dem Berg halten. Ihre dunkellila gefärbten Lippen kräuselten sich. Das war zumindest ein Zeichen angespannter Aufmerksamkeit. »Die ist immer dabei auf den Partys. Die quasselt selbst mit Gummibäumen.« Willy schwieg wieder. Diese Zähigkeit machte mich nervös. »Jetzt red schon.«
    »Mehr weiß ich auch nicht. Es kommen ja auch die Frauen, die es schon hinter sich haben. Vielleicht ist ihr Mann längst tot. Sie ist immer dabei.« Das war für Willy eine lange Auskunft. Er wirkte erschöpft und bestellte sich einen doppelten Wodka.
    Maria räusperte sich. »Frau Stadl hatte keinen Mann«, mischte sie sich ein. »Sie hatte immer nur Männer. Sie kamen, blieben und verschwanden wieder. Sie waren jung, sie waren alt. Arm war keiner.« Jetzt trommelte Maria mit den ringbestückten Fingern ihrer rechten Hand auf die Tischplatte. › Geister vertreiben ‹ nannte sie das nervige Geklackere. Welche Geister vertrieb sie gerade? Der doppelte Wodka kam. Willy kippte ihn runter. Er bestellte noch einen.
    »Geht alles auf mich«, sagte ich zur Bedienung und orderte für Maria und mich gleich einen mit. »Waren es viele?«
    »Sie hatte einen ganz schönen Verschleiß.« Maria wickelte sich eine dicke Strähne ihrer langen Haare um den rechten Zeigefinger, bis die Strähne vollständig aufgewickelt war wie auf einem Lockenwickler. Dann zog sie kräftig. Man sah die weiße Kopfhaut. »Keiner blieb so furchtbar lange.«
    »Kennst du ihren Sohn?«
    »Den Philip? Der war in der Psychiatrie in der Geschlossenen.«
    »Woher weißt du das?«
    »Von einem Kollegen, der ihn behandelt hat.«
    »Was fehlt ihm?«
    »Die Wörter fehlen ihm. Er kann alle Tierstimmen nachahmen. Täuschend echt. Aber Wörter zum Sprechen hat er keine.«
    »Und das ist bis heute so?«
    »Ich weiß es nicht. Möglich. Seine Mutter hat ihm einiges zugemutet.« Die doppelten Wodkas kamen. Wir stießen an und kippten sie runter.
    »Aaaahhh«, machte Maria und setzte das Glas heftig auf. »Der Philip ist ein armer Kerl.« Ich wollte mehr wissen. »Fritz, geht nicht. Arztgeheimnis.«
    »Wann war er in der Geschlossenen?«
    »Er war immer mal wieder dort.«
    »Und wo?« Sie zögerte mit der Antwort und begann wieder, eine Haarsträhne aufzuwickeln. »Frag doch deine Frau Vogelweide. Die könnte es wissen.«
    »Kanntest du ihn persönlich?«
    »Rein zufällig bin ich ihm begegnet. In einer Klinik.« Mehr war aus Maria nicht herauszubekommen. Ich war mir sicher, dass sie mehr wusste, als sie erzählt hatte. Ich bestellte noch viele Wodkas. Es war nichts zu machen. Maria schwieg eisern zum Thema Stadl. Willy war hackenbreit und schwärmte von den Frauen auf der Trauerparty. »Mein lieber Jolly!« Dann fing er an zu jammern.
    »Willy, was hast du?«
    »Ob die alle schon gestorben sind?«
    »Willy, was meinst du?«
    »Haben die noch Männer? Ob das morgen der Letzte ist?«
    »Mensch, Willy!«
    »Männer weg, Job weg. Ist doch scheiße!«
    Maria sagte gar nichts mehr, bis sie vom Stuhl kippte. Das war die durchaus übliche Art ihres Abgangs. Ich wollte zahlen. Die Rechnung war zu hoch. »Deckel.«
    »Fritz, alles klar.« Wir waren die Letzten im Lokal. Willy und ich schleiften Maria hinaus und pflanzten sie auf die Bank neben der Türe vom ›Lentz‹. Dort saß Maria immer gerne. Es war empfindlich kalt. Das scherte uns nicht. Maria war zäh. Sie hatte ihren Ledermantel an und würde schon überleben. Willy holte einen Fetzen Schal aus seiner Manteltasche und wickelte ihn Maria um den Hals. »Passt.« Dann wankte er grußlos in die Dunkelheit. Ich hatte ein dringendes Bedürfnis auf ein Bett, um auszuschlafen. Die Beerdigung. Mein Gott, ja! Die hätte ich fast

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