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Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Sie legte sie zurück auf den Tisch und griff sich an die Stirn. In dieser Pose verharrte sie für einen Moment. Sie sammelte sich.
    »Moment.« Sie verschwand. Ich folgte ihr. Sie betrat ihr Schlafzimmer. Sie drehte sich zu mir um. »Ich will mir nur etwas anziehen.«
    »Ich warte hier.« Sie wollte die Türe schließen. »Die bleibt offen.« Sie verhielt sich jetzt giftig und ganz ohne Liebreiz. Die Verführnummer zog nicht, das hatte sie begriffen. Sie hatte einen begehbaren Schrank, in dem sie verschwand. Ich hörte Kleider rascheln. Sie war ein Aas, fraglos. So ohne Weiteres aufgeben würde sie nicht, da stand zu viel auf dem Spiel für sie. Sie kam aus dem Schrank. Sie trug Jeans, darüber ein weites, weißes Baumwollhemd. Sie sah richtig passabel darin aus. Vor mir stand eine entschlossene Frau. Die Pistole in ihrer Hand war ein Argument, gegen das ich im Moment machtlos war.
    »Frau Stadl hatte Sie ja angekündigt.« Sie winkte mit der Pistole. Wir gingen zurück in das Kronleuchter-Zimmer. »So, was haben wir denn da?« Sie nahm sich die Unterlagen, ließ sich in einen schwarzen Ledersessel fallen und forderte mich auf, ebenfalls Platz zu nehmen, indem sie mit der Pistole auf einen anderen Sessel zeigte. Ich holte mir erst noch einen Whisky. Die Flasche stand auf einer Anrichte nebst Gläsern. Wenn schon, dann doch bitte mit Stil.
    »Mir auch einen.« Sie bekam auch einen.
    »Mit etwas Wasser?«
    »Natürlich.« Ich brachte ihr den Whisky mit einem Glas Wasser. Sie las. Ich nippte an dem Whisky. Er war weich wie Samt. Sie schüttete ein paar Tropfen Wasser in den Whisky und trank. Sie las weiter. Ihr Gesichtsausdruck war sehr angespannt. Jetzt war sie ganz die Staatssekretärin bei der Lektüre von Akten. Geschäftsmäßige Routine. Sie hob den Kopf und sah mich an. »Wenn das an die Öffentlichkeit kommt, fliegt halb Berlin auf.«
    »Sie sagen es.«
    »Dazu darf es nicht kommen.«
    »Wie wollen Sie das verhindern?«
    »Ich werde mit Frau Stadl reden.«
    »Wissen Sie denn, wo sie ist?« Sie schwieg. »Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«
    »Ich habe eben mit ihr telefoniert!«, stellte sie fast triumphierend fest. »Gerade eben noch!«, rief sie sich selbst Mut zu.
    »Das war nicht Frau Stadl.«
    »Wer denn sonst?«
    »Das war Philip, ihr Sohn, er imitiert seine Mutter.«
    »Das ist doch Unsinn. Es war deutlich ihre Stimme.«
    »Es war trotzdem ihr Sohn.«
    »Warum sollte er das tun?«
    »Das steht jetzt nicht zur Debatte. Er will Sie vernichten. Das wird er auch tun. Alle auf der Liste will er vernichten. Sie haben die Wahl, sich öffentlich zu outen, oder er wird Sie töten. Wie Frau Körner abgeschlachtet worden ist mit einem Messer. Sie werden umkommen, wie die alten Herren umgekommen sind. Mit Ihrer Hilfe. Auf mich hat er schon mehrere Anschläge verübt. Sie hätten tödlich sein können. Bomben, Elektroschocks, Pistolenschüsse, die er auf mich abgefeuert hat, Entführung in einem Kofferraum, reicht das?«
    Sie war verunsichert, gab aber nicht auf. »Nein, nein, das war Frau Stadl! Sie bluffen!« Sie richtete die Pistole auf mich. Es war kein angenehmes Gefühl. »Diese Unterlagen sind Kopien der Originale. Egal, wer die Originale hat, Sie haben ausgespielt. Deswegen bin ich hier, weil der Besitzer der Originale genau das wollte. Sie haben keine Chance!« Auch das konnte sie nicht überzeugen.
    »Wir sind doch nicht im Fantasy-Kino!«
    »Legen Sie ein Geständnis ab. Öffentlich. In der BZ zum Beispiel. Die machen das.«
    »Völlig ausgeschlossen!« Sie legte die Pistole in ihren Schoß und rang die Hände. Ein flehentlicher Ausdrcuk lag in ihren Zügen. Jetzt war die Hilf-mir-Nummer dran. Sie hatte einiges zu bieten.
    »Wie lief der Laden denn?«
    »Helfen Sie mir.« Sie machte einen auf hilfloses Frauchen, das nach einer starken Schulter zum Anlehnen suchte. Das ließ mich kalt.
    »Erzählen Sie doch mal. Was war denn so Ihre Aufgabe?«
    »Mein Gott, ich kommunizierte ein bisschen. Ich war zuständig für alle Altersheime. Caritas, Rotes Kreuz, Diakonie, private Altersheime, was es so gibt.« Sie verflocht wieder vorzugsweise die Hände, statt zu sprechen.
    »Und?«
    »Ich suchte in den Altersheimen die Herren aus, die vermögend waren.« Sie war zäh. So richtig mit der Sprache herausrücken wollte sie nicht.
    »Weiter!«
    »Das ging natürlich nur mithilfe des jeweiligen Personals. Pflegedienste. Ärzte. Die gaben mir die Tipps.«
    »Gegen Bezahlung?«
    »Ja, natürlich. Umsonst ist nur der

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