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Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Fußtritte in den dürren Arsch vor mir zu verpassen. Der Kerl war, wie er aussah, keine Plaudertasche. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Wir betraten einen Raum, der lupenrein im Jugendstil eingerichtet war. Tapeten, Lampen, Möbel, Teppiche, alles vom Feinsten. Kostbare Vasen standen auf Tischen. Ich war beeindruckt. Hatte ich diesen Stinkstiefel falsch eingeschätzt und einem veritablen Kunstsammler eins auf die Backen gehauen? Er drehte sich zu mir um. Sein Gesicht hatte Striemen von den Backpfeifen. Er schaute mich ausdruckslos an.
    »Was wollen Sie?« Er näselte leicht und hatte einen undefinierbaren Schnarrer in der Stimme. Das Kokain hatte ihm die Scheidewände seiner Nase zerfressen. So hörte es sich an. Zu allem Überfluss lispelte er. Die Kippe zwischen seinen Fingern war heruntergebrannt. Die Asche fiel auf den wertvollen Teppich. Die Glut glimmte auf seiner Haut. Er schien es nicht zu merken. Ich holte die Zeichnung von Martha aus der Innentasche meiner Jacke und hielt sie ihm unter die Nase. Ich hätte ihm genauso gut einen vertrockneten Kuhfladen vor sein Gesicht halten können. Er hätte nicht einmal daran geschnuppert.
    »Diese Frau kennen Sie doch?« Nichts. »Frau Körner. Mittlerweile tot. Zerstückelt. Nichts?« Er war ein Meister der Lakonie. Mimischer Stillstand auf der ganzen Linie. »Dem Mann, der hier auf dem Bild von der Decke schwebt, mit den dicken Eiern, haben Sie keinen Totenschein ausgestellt?«
    Er neigte sich einen Millimeter nach vorne, um das Bild zu betrachten. »Kenne ich nicht.«
    Das Lispeln war unerträglich. »Und die Frau auf dieser Zeichnung? Frau Maibaum?«
    Er zog die Mundwinkel ein Millimeterchen runter. › Keine Ahnung ‹ , hieß das. Er war ein echter Komiker. Ich fasste in seinen Schritt und quetschte ihm die Eier. Mir war danach. Ich drückte, so fest ich konnte. Erst stöhnte er, dann kam das Schmerzensgebrüll. Ich ließ nicht los. Ich drückte, so fest ich konnte. Er begann zu hüpfen und sich zu krümmen. Seine Eier suchten einen Ausweg, einen Spalt zwischen meinen Fingern, voller Verzweiflung und Pein versuchten sie zu entweichen. Viel Spielraum hatten sie nicht. Mein Griff war eisern. Er schrie und heulte wie am Spieß, fuchtelte wild mit den Armen, seine Augen quollen aus den Augenhöhlen. Es war mir eine Wonne, dieses miese, kleine Arschloch diesen wilden Tanz tanzen zu lassen. Ich war erstaunt über meine Brutalität. Sie ging mir locker von der Hand. Ich ließ los. Er japste nach Luft, vornüber gebeugt vor Schmerz. Wir waren noch nicht am Ende. Das spürte ich. Er war eine der Ratten, die an altem Fleisch nagten. Ich registrierte, dass ich außer Kontrolle geriet. Dass ich die Situation genoss. Aber nach dem Verhör war ich ja wieder ein ordentlicher Mensch, redete ich mir ein.   Ich musste zu einem Ergebnis kommen. Philip saß mir im Genick. Er hatte mich vor seinen Karren gespannt. Ich war Todesbote, Folterknecht und Henker in einem. Ich blickte nicht durch. Das war mein Dilemma. Eine absurde Situation. Ich ließ mich von einem 17-Jährigen am Nasenring durch die Manege führen. Schmeichelhaft war das für mich nicht. Ich brauchte eine Sekunde Zeit zum Nachdenken, bevor mich die Paranoia vollends überwältigte und ich aus dem Komiker vor mir Hackfleisch machte.
    Ich legte die Unterlagen auf einen Tisch, in den filigrane Elfenbeinintarsien eingearbeitet waren. Es waren engelgleiche Frauen in elysischen Gewändern, von Lilien umspielt, die auf der Tischplatte mit ihren Reizen lockten.
    »Lesen!« Ich setzte mich auf einen der sehr eleganten Jugendstilstühle. Bequem war der Stuhl nicht. In der Rolle als Kurier des Racheengels fühlte ich mich unbehaglich. Ich wollte Philip finden und keine Köpfe abschneiden. Wollte ich das wirklich? Ihn finden? Nur seinetwegen? Inwieweit war ich da mit im Spiel? Ich hatte, so wurde mir berichtet, meine Mutter, bevor ich nach Berlin flüchtete, kurz vor dem Abitur, in der Badewanne ertränkt. Ich hatte keine Erinnerung daran, wie das vonstatten ging. Vonstatten! So redeten die Bürokraten, die in mir hausten, mich unter Verschluss hielten, meine Seele traktierten, mir den Blick auf mich verstellten. Zersetzer, anonyme Verwalter eines Steinbruchs, dessen Geröll mich begraben hatte. Tot unter Muttergestein. Da war etwas in mir, wovon ich nichts wusste. Abgekapselte Geschwüre, die sich nicht öffneten. Wut, Hass, Gewalt, die unterirdisch wie ein Lavastrom in mir rumorten und immer wieder, wie jetzt, zum Ausbruch

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