King City: Stadt des Verbrechens (German Edition)
der Garage und hörte niemals Neil Diamond, wenn er ihn fuhr. Stattdessen nutzte er, wann immer möglich, einen Dienstwagen.
Jetzt, da Alison ihn aus dem Haus geworfen hatte, hätte Wade am liebsten all die falschen Plastikteile abgerissen, um einfach nur noch einen grünen Mustang zu haben. Doch er tat es nicht, weil er befürchtete, dass seine dreizehn Jahre alte Tochter Brooke es als einen Akt der Aggression gegen ihre Mutter verstehen könnte.
Und vielleicht wäre es auch genau das.
Er nahm die Abfahrt, die sich von der King’s Crossing Bridge hinabschlängelte. Dabei richtete er sich unwillkürlich etwas im Sitz auf, um den Anblick der Hängebrücke, des Flusses und der Skyline der Innenstadt, die sich vor den schroffen West Hills abzeichnete, zu genießen.
Die Ansammlung von Bürogebäuden, aus der die Innenstadt von King City bestand, war weder besonders markant noch in irgendeiner anderen Weise beeindruckend. Es waren die King’s Crossing und die fünf anderen Brücken, die den Chewelah überspannten, die der Stadt ihren besonderen Charakter verliehen. Und den allerbesten Blick hatte man von der King’s Crossing Bridge. Sie war die höchste von allen.
Mindestens einmal in der Woche kam der Verkehr auf der King’s Crossing völlig zum Erliegen, weil irgendein Idiot bremste, um den Ausblick zu genießen, in einen anderen Wagen krachte und dabei gleich eine ganze Reihe weiterer Auffahrunfälle auslöste.
Wade hatte die Brücke schon unzählige Male gesehen, warf aber trotzdem jedes Mal einen Blick nach Norden und nach Süden.Jede der Brücken war ein Einzelstück, ein perfektes Beispiel bester Ingenieurskunst und gebaut aus Stahl und dem Eisen, das man in den West Hills abgebaut hatte.
Die Brücken schienen geradezu vor der Waghalsigkeit, dem Ehrgeiz und der Hartnäckigkeit zu strotzen, die zu ihrer Erbauung geführt hatten. Ihr Anblick hatte für ihn etwas Beruhigendes und zugleich Erfrischendes.
Doch sobald er die Innenstadt erreichte, war aller Zauber verschwunden. Von der Brücke fuhr er direkt auf King Plaza Nummer eins zu, dem Zentrum der Stadtverwaltung, dominiert von dem burgähnlichen Rathaus, das immer noch ein Symbol für Ausschweifung und Egomanie darstellte.
Nachdem man King City gegründet hatte, war die Stadt aufgrund der reichen Bodenschätze, der Eisenbahnanbindung und der wirtschaftlichen Nutzung des Flusses rasch gewachsen.
Bis zur Jahrhundertwende hatte sie sich bis auf beide Seiten des Flusses ausgebreitet. Aus einer hauptsächlich von Landwirtschaft geprägten Gegend war eine Industriemetropole geworden. Stahlwerke, Holzlager und Produktionsbetriebe der verschiedensten Art zogen sich an beiden Ufern entlang und stießen Tag und Nacht ihren Qualm in den Himmel.
Als die nächste Jahrhundertwende nahte, lag die Wirtschaft der Stadt am Boden. Die Minen waren entweder ausgebeutet, oder es war zu teuer geworden, weiter in ihnen zu schürfen. Wälder und Äcker hatte man parzelliert und erschlossen. Die Stahlwerke, die Holz verarbeitenden Betriebe wie auch andere große Industriezweige waren nach Übersee abgewandert. Der Chewelah diente nicht länger als Transportweg für Waren und war inzwischen so vergiftet, dass selbst Fische darin nicht mehr überleben konnten.
Nun lagen die Docks, Eisenbahnbetriebshöfe, Fabriken und Lagerhäuser verlassen da und rotteten unter der erbarmungslosen Sonne im braunen Dunst vor sich hin. Und dieser allgemeine Verfall breitete sich auch in die angrenzenden Viertel aus, die einmal die sichersten und blühendsten Gegenden der Stadt gewesen waren und in denen nun Gewalt und Verbrechen Einzug hielten.
Dorthin war Wade unterwegs, zur Division Street, früher einmal bekannt als die Haupteinkaufsgegend im Süden und heute Darwin Gardens genannt.
Vom King Plaza eins lag Darwins Gardens nur vier Meilen entfernt und doch in einer vollkommen anderen Welt.
Die Gebäude auf beiden Seiten der Division Street waren ein oder zwei Stockwerke hoch und aus Backstein und Beton, wie man sie an den Hauptstraßen vieler Kleinstädte in Amerika fand. Jetzt wirkten sie wie verlassene Gefängnisse, mit Eisengittern vor den Fenstern und Türen und Sperrholzplatten voller Wasserflecken überall dort, wo sich früher Glasscheiben befunden hatten. Alles wirkte grau in grau, jegliche Farbe war im Laufe der Zeit abgewaschen und niemals erneuert worden.
Obdachlose Männer und Frauen hockten im Halbdunkel der Eingänge und Mauernischen. Ihre wenigen Habseligkeiten hatten sie
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