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Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Titel: Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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klickte leise an meinem Ohr.
    Ich saß da mit der einen Hand am Telefon, von Zweifeln geplagt, und hätte am liebsten noch mal angerufen, alles wieder ausgelöscht, was ich gerade gesagt hatte. Ich hatte Erleichterung gesucht, eine Möglichkeit gesucht, der Unruhe, die ich empfand, zu entkommen. Ich glaube, ich hatte sogar gewollt, daß er mir hart zusetzt, damit ich standhalten und mich im Recht fühlen konnte. Es ging doch um meine Integrität. Oder nicht? Sein gekränkter Tonfall war schrecklich gewesen nach dem, was wir miteinander erlebt hatten. Und vielleicht hatte er recht mit seiner Annahme, daß ich ihn zurückwies. Vielleicht war ich einfach launisch und stieß ihn von mir, weil ich Luft brauchte zwischen mir und der Welt. Der Job lieferte ja die perfekte Ausrede dazu. Ich lerne die meisten Menschen bei meiner Arbeit kennen, und wenn ich mich dort nicht gefühlsmäßig einlassen kann, was bleibt mir dann noch? Die Detektivarbeit ist mein ganzes Leben. Ich stehe mit ihr auf und gehe mit ihr schlafen. Die meiste Zeit bin ich allein, aber was ist dabei? Ich bin nicht unglücklich, und ich bin nicht unzufrieden. Ich mußte frei sein, bis ich wußte, was vor sich ging. Sollte er mich eben mißverstehen und zum Teufel gehen, bis ich diesen verflixten Fall geklärt hatte, und danach konnten wir vielleicht sehen, wie es mit uns stand — falls es dann nicht zu spät war. Selbst wenn er recht hatte, selbst wenn mein Bruch mit ihm mehr war als Gewissenhaftigkeit, ein Deckmantel für etwas anderes — na und? Es gab keine Gelöbnisse zwischen uns, keine Verpflichtungen. Ich war zweimal mit ihm ins Bett gegangen. Was schuldete ich ihm? Ich weiß nicht, was Liebe ist, und ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt an sie glaube. »Warum dann so defensiv?« fragte eine leise Stimme darauf, aber ich beachtete sie nicht.
    Ich mußte die Sache vorantreiben. Anders war da jetzt nicht mehr herauszukommen. Ich griff zum Telefon und rief Gwen an.
    »Hallo?«
    »Gwen, hier ist Kinsey«, sagte ich in neutralem Ton. »Es hat sich was ergeben, und ich denke, wir sollten uns mal unterhalten.«
    »Um was geht’s?«
    »Ich möchte lieber nicht am Telefon mit Ihnen sprechen. Wissen Sie, wo hier am Strand Rosie’s ist?«
    »Ja, ich glaube, ich kenne das Lokal«, sagte sie zögernd.
    »Können Sie mich dort in einer halben Stunde treffen? Es ist wichtig.«
    »Na ja, klar. Lassen Sie mich nur die Schuhe anziehen. Ich komme, so schnell ich kann.«
    »Danke«, sagte ich.
    Ich blickte auf meine Uhr. Es war Viertel vor acht. Dieses Mal wollte ich sie auf meinem Terrain.

    Rosie’s war leer, das Licht schummrig, das ganze Lokal roch nach dem Zigarettenrauch von gestern. Ich bin oft ins Kino gegangen, als ich klein war, und die Damentoilette in dem Kino roch auch immer so. Rosie trug ein hawaianisches Hängekleid, dessen Stoff mit zahlreichen auf einem Bein stehenden Flamingos bedruckt war. Sie saß am Ende des Tresens und las Zeitung beim Licht eines kleinen, ohne Ton laufenden Fernsehgerätes, das sie auf die Bar gestellt hatte. Sie blickte auf, als ich hereinkam, und legte die Zeitung weg.
    »Zum Dinner ist es zu spät. Die Küche ist geschlossen. Ich hab mir heute abend frei gegeben«, verkündete sie quer durch den Raum. »Wenn du was essen willst, mußt du’s dir zu Hause kochen. Frag Henry Pitts. Der macht dir was Gutes.«
    »Ich bin mit jemand auf einen Drink verabredet«, sagte ich. »Mächtig Betrieb hier.«
    Sie schaute sich um, als wäre ihr vielleicht jemand entgangen. Ich trat zu ihr an den Tresen. Sie sah aus, als hätte sie gerade ihre Haare neu gefärbt, denn ihre Kopfhaut war rötlich. Sie benutzte einen Maybelline-Brauenstift für ihre Augenbrauen, die sie in einem koketten Bogen anscheinend jedesmal etwas näher zusammenbrachte. Bald würde sie nur noch eine einzige Wellenlinie zu ziehen brauchen.
    »Hast du endlich einen Mann?« fragte sie.
    »Sechs bis acht die Woche«, sagte ich. »Und hast du gekühlten Chablis?«
    »Nur das miese Zeug. Bedien dich.«
    Ich ging um den Tresen herum, nahm mir ein Glas und holte die große 6-Liter-Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank unter der Bar. Ich goß mir das Glas voll und gab Eis dazu. Ich ging hinüber zu meiner Lieblingsnische und setzte mich, um mich geistig einzustimmen wie ein Schauspieler vor seinem Auftritt. Es war Zeit, auf Höflichkeiten zu verzichten.
    Gwen erschien vierzig Minuten später, frisch und flott. Sie begrüßte mich recht freundlich, aber dahinter meinte

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