Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
ich die Feinheit ihrer Gefühle zu schützen wissen.
»Und alles andere ging wie von selbst? Der Oleander im Hof? Die Kapseln im ersten Stock?«
»Eine Kapsel. Ich habe eine fabriziert.«
»Blödsinn, Gwen. Das ist Blödsinn.«
»Überhaupt nicht. Ich sage die Wahrheit. Das beschwöre ich. Ich hatte es mir schon lange überlegt, aber ich sah keine Möglichkeit, es durchzuführen. Ich war noch nicht einmal sicher, daß er daran sterben würde. Diane war wegen des Hundes sowieso am Boden, also brachte ich sie in meine Wohnung und steckte sie ins Bett. Sobald sie eingeschlafen war, nahm ich ihre Schlüssel und fuhr zurück, und das war auch schon alles.« Sie sprach mit einer aufsässigen Schärfe, als bräuchte sie, nachdem sie so mitteilsam geworden war, wirklich kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen.
»Was ist mit den beiden anderen?« fuhr ich sie an. »Was ist mit Sharon und mit Libby Glass?«
Sie sah mich verständnislos an und wich zurück. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Den Teufel wissen Sie nicht!« Ich stand auf. »Sie haben mich von der ersten Minute an, seit wir uns kennen, belogen. Ich kann Ihnen kein einziges Wort abnehmen, und das wissen Sie.«
Sie schien verblüfft über meinen Ausbruch. »Was haben Sie vor?«
»Die Information an Nikki weiterzugeben«, sagte ich. »Sie hat dafür bezahlt. Soll sie entscheiden.«
Ich trat von dem Tisch weg und peilte die Tür an. Gwen schnappte sich ihre Jacke, ihre Tasche und kam hinter mir her.
Auf der Straße draußen griff sie nach meinem Arm, aber ich schüttelte sie ab.
»Kinsey, warten Sie...« Ihr Gesicht war auffallend blaß.
»Spuck es in den Wind«, sagte ich. »Du solltest dir einen ganz scharfen Verteidiger holen, Kindchen, denn du wirst einen brauchen.«
Ich entfernte mich die Straße hinunter und ließ Gwen zurück.
25
Ich schloß meine Wohnungstür ab und versuchte Nikki am Strand anzurufen. Ich ließ das Telefon achtmal klingeln und legte auf; danach ging ich mit einer undeutlichen Empfindung in der Brust im Zimmer auf und ab. Irgend etwas stimmte nicht, beunruhigte mich, aber ich konnte nicht den Finger darauf legen. Da war kein Gefühl von Abgeschlossenheit. Überhaupt nicht. Dies hätte jetzt das Ende sein müssen. Der große Höhepunkt. Ich war engagiert worden, um herauszufinden, wer Laurence Fife ermordet hatte, und ich hatte es herausgefunden. Ende. Finis. Aber ich stand mit einem halben Fall da und mit einer Menge noch zu klärender Einzelheiten. Gwens Mord an Laurence war teils Vorsatz und teils Affekt gewesen, aber das übrige schien nicht dazu zu passen. Warum fand nicht alles seinen Platz? Ich konnte mir Gwen nicht als Mörderin von Libby Glass vorstellen. Gwen hatte Laurence jahrelang gehaßt, sich vielleicht an Methoden hochgezogen, wie sie ihn umbringen könnte, womöglich nicht im Traum daran gedacht, daß sie es tatsächlich tun würde, nie daran gedacht, daß sie es verwirklichen könnte. Sie war auf den Oleander-Plan gekommen und hatte plötzlich einen Weg gesehen, es durchzuführen. Eine perfekte Gelegenheit hatte sich ergeben, und sie hatte sie genutzt. Der Tod von Libby Glass konnte sicher nicht so leicht zu arrangieren gewesen sein. Woher wußte Gwen von ihr? Woher wußte sie, wo sie wohnte? Wie hätte sie in diese Wohnung gelangen sollen? Und wie hätte sie sich darauf verlassen können, daß Libby Glass irgendwelche Medikamente einnahm? Ich konnte mir auch nicht vorstellen, daß Gwen nach Las Vegas gefahren war. Konnte mir nicht vorstellen, daß sie kaltblütig Sharon erschossen hatte. Wofür? Zu welchem Zweck? Mit dem Mord an Laurence hatte sie einen alten Groll bereinigt, einen überkommenen, bitteren Haß zwischen ihnen gestillt, warum aber die beiden anderen umbringen? Erpressung? Drohende Entlarvung? Das hätte unter Umständen Sharon erklärt; wieso aber Libby Glass? Gwen hatte in ihrer Verblüffung wirklich selbstgerecht gewirkt. Ähnlich wie vorher, als sie jede Verantwortung für den Tod des Hundes von sich wies. Da war einfach dieser sonderbare Beiklang von echter Empörung in ihrer Stimme. Das ergab keinen Sinn.
Es sei denn, daß jemand anders beteiligt war. Noch jemand, der mordete.
Ein Schauder überlief mich.
O mein Gott. Lyle? Charlie? Ich setzte mich hin, blinzelte, schlug die Hand vor den Mund. Ich war davon ausgegangen, daß eine Person alle drei umgebracht hatte, aber vielleicht war es nicht so. Vielleicht gab es noch eine andere Möglichkeit. Ich probierte sie aus: Gwen hatte
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