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Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Titel: Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Laurence Fife umgebracht. Wieso konnte nicht jemand anders die Bresche entdeckt und sie für sich ausgenutzt haben? Die Verbrechen lagen nah beieinander, die Methode war die gleiche. Natürlich mußte es aussehen, als ob alles zu ein und demselben Plan gehörte.
    Ich dachte an Lyle. Ich dachte an sein Gesicht, die seltsamen, unmerklich voneinander abweichenden. Augen: mürrisch, lauernd, aggressiv. Er hatte gesagt, er sei drei oder vier Tage, bevor Libby starb, bei ihr gewesen. Ich wußte auch, daß er von Laurences Tod gehört hatte. Er war zwar kein Mann von überragendem Intellekt, aber die List eines anderen nachzuahmen, das hätte er durchaus fertigbringen können — sogar in angetörntem Zustand.
    Ich rief meinen Auftragsdienst an. »Ich fahre nach Los Angeles«, sagte ich. »Falls Nikki Fife anruft, möchte ich, daß Sie ihr die Rufnummer des Hacienda Motels dort angeben und ihr sagen, es sei wichtig, daß sie Verbindung mit mir aufnimmt. Aber sonst niemand. Es soll sich nicht herumsprechen, daß ich außerhalb bin. Ich werde öfter nachhören, ob jemand angerufen hat. Sagen Sie einfach, ich sei verhindert und Sie wüßten nicht, wo ich bin. Haben Sie das?«
    »In Ordnung, Miss Millhone. Wird gemacht«, sagte sie fröhlich und legte mit einem Klicken auf. Gott. Wenn ich zu ihr gesagt hätte: »Halten Sie alle Anrufe zurück. Ich schneide mir die Kehle durch«, würde sie mit der gleichen verständnislosen Freundlichkeit geantwortet haben.

    Die Fahrt nach Los Angeles war Labsal für mich — beruhigend, ereignislos. Es war neun Uhr durch und nicht viel Verkehr auf der dunkel gewordenen Straße nach Süden. Zu meiner Linken wellten und dehnten sich Hügel, bedeckt von niedriger Vegetation — keine Bäume, keine Felsen. Rechts von mir, fast in Reichweite, grollte der Ozean, der bis auf vereinzelte weiße Rüschen ganz schwarz aussah. Ich fuhr vorbei an Summerland, an Carpenteria, vorbei an den Öltürmen und dem Kraftwerk, das mit winzigen Lichtern bekränzt war wie eine Schaufensterauslage zur Adventszeit. Irgendwie war es erholsam, sich um nichts sorgen zu müssen als darum, daß ich einen Unfall bauen und ums Leben kommen könnte. Es machte mich in Gedanken frei für andere Dinge.
    Ich hatte einen Fehler begangen, etwas Falsches vorausgesetzt, und ich kam mir vor wie eine Anfängerin. Andererseits war ich von derselben Voraussetzung ausgegangen, von der jeder ausgegangen war: gleiche Verfahrensweise, gleicher Täter. Aber jetzt glaubte ich nicht mehr daran. Jetzt schien mir die einzige Erklärung, die einen Sinn ergab, die zu sein, daß jemand anders Libby Glass umgebracht hatte — und auch Sharon. Ich fuhr durch Ventura, Oxnard, Camarillo, wo die staatliche Heil- und Pflegeanstalt ist. Ich habe gehört, daß es unter den Insassen von Nervenkliniken weniger Neigung zur Gewalttätigkeit geben soll als in der frei lebenden Bevölkerung, und das will ich gern glauben. Ich dachte ohne Verwunderung oder Bestürzung über Gwen nach, meine Gedanken sprangen unwillkürlich hin und her. Irgendwie fühlte ich mich mehr beleidigt durch die kleineren Vergehen einer Marcia Threadgill, die nicht so voll hinlangte, aber von keinem anderen Motiv geleitet wurde als Habgier. Ich fragte mich, ob Marcia Threadgill der neue moralische Maßstab war, nach dem ich jetzt alle vorkommenden Sünden beurteilen würde. Haß konnte ich verstehen — das Bedürfnis nach Vergeltung, nach dem Begleichen alter Schulden. Das war eigentlich doch auch der Sinn von »Gerechtigkeit«: Bereinigung.
    Ich fuhr über den großen Berg nach Thousand Oaks hinein, wo der Verkehr zunahm; Wohnsiedlungen erstreckten sich zu beiden Seiten der Straßen, dann Einkaufszonen in dichter Folge. Die Abendluft war feucht, und ich ließ die Fenster heruntergedreht. Ich griff hinter mich, nach der Aktentasche auf dem Rücksitz und fummelte den Verschluß auf. Ich verstaute meine kleine Automatic in meiner Jackentasche, wobei ich auf ein Bündel Papiere stieß. Ich zog sie heraus und sah hin. Sharon Napiers Rechnungen. Ich hatte sie beim Verlassen ihrer Wohnung in die Windjacke gesteckt und seither nicht mehr daran gedacht. Ich mußte sie noch durchgehen. Ich warf sie auf den Beifahrersitz und blickte im kalt gleitenden Licht der Fernstraße auf meine Armbanduhr. Es war zehn nach zehn — noch eine Dreiviertelstunde zu fahren, vielleicht mehr, je nach dem Verkehr in der Stadt, wenn ich erst vom Freeway herunter war. Ich dachte an Charlie, fragte mich, ob ich eine

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