Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
zusammengesunken, so klein und schwach sah er aus.
»Ich gab ihr ein Beruhigungsmittel «, sagte er gequält. »Sie wollte eins haben, und ich fand das Fläschchen im Arzneischrank und gab es ihr. Gott, ich brachte ihr sogar ein Glas Wasser. Ich hatte sie so lieb.«
Der erste Ausbruch ließ nach, und er rieb sich mit der schmutzigen Hand die Tränen aus dem Gesicht, so daß dunkle Striemen zurückblieben. Er umklammerte sich mit den Armen, wiegte unglücklich vor und zurück, und wieder liefen ihm Tränen über die knochigen Wangen.
»Weiter«, sagte ich.
»Danach ging ich, aber ich war deprimiert und fuhr später noch mal hin, und da fand ich sie tot auf dem Fußboden im Badezimmer. Ich hatte Angst, sie würden meine Fingerabdrücke entdecken und glauben, ich hätte ihr was angetan, deshalb wischte ich die ganze Wohnung sauber.«
»Und die Beruhigungstabletten haben Sie mitgenommen, als Sie wegfuhren.«
Er nickte und preßte seine Finger in die Augenhöhlen, als könnte er damit die Tränen zurückdrängen. »Ich habe sie ins Klo geschüttet, als ich heimkam. Ich hab die Flasche zertreten und sie weggeworfen.«
»Woher wußten Sie denn, daß es die Pillen waren?«
»Keine Ahnung. Ich wußte es einfach. Mir fiel dieser Typ ein, der aus dem Norden, und ich wußte, der war auf die Art gestorben. Sie hätte das verfluchte Ding vielleicht gar nicht genommen, wenn ich nicht gewesen wäre, aber wir hatten uns gefetzt, und sie war so außer sich, daß sie zitterte. Ich wußte nicht mal, daß sie Tranquilizer hatte, bis sie mich bat, ihr einen zu holen, und ich dachte mir nichts dabei. Ich bin dann noch mal hin, um mich zu entschuldigen.« Das Schlimmste schien überstanden zu sein, und er seufzte tief. Seine Stimme klang fast wieder normal.
»Was noch?«
»Ich weiß nicht. Das Telefon war rausgezogen. Ich schloß es wieder an und wischte es ebenfalls ab«, sagte er ausdruckslos. »Ich hatte nichts Böses im Sinn. Ich mußte mich nur schützen. Ich wollte sie nicht vergiften. Das hätte ich ihr nicht angetan, ich schwör’s bei Gott. Ich hatte nichts damit zu tun, überhaupt nichts, außer daß ich saubergemacht habe. Falls Fingerabdrücke da waren. Ich wollte nicht, daß irgendwas auf mich hinwies. Und ich nahm die Flasche mit, in der die Pillen waren. Das schon.«
»Aber Sie haben nicht den Verschlag aufgebrochen«, sagte ich.
Er schüttelte den Kopf.
Ich ließ die Pistole sinken. Ich hatte es halb geahnt, aber erst jetzt war ich sicher.
»Zeigen Sie mich an?«
»Nein. Nicht Sie.«
Ich ging zurück zum Auto, und dort saß ich dumpf, während mich die vage, unvernünftige Frage beschäftigte, ob ich wirklich von der Waffe Gebrauch gemacht hätte. Ich glaubte nicht dran. Aber wie hart ich war. Hart und ungerecht, daß ich hinging und irgendeinem dummen Jungen so eine Heidenangst einjagte. Ich schüttelte den Kopf und spürte selber Tränen. Ich ließ den Motor an, legte den Gang ein und fuhr über den Berg in Richtung West L. A. Ich hatte noch einen Anlaufhafen, und dann konnte ich zurück nach Santa Teresa und es in Ordnung bringen. Ich glaubte jetzt zu wissen, wer es war.
26
Ich erblickte mein Spiegelbild in einer der Spiegelglaswände gegenüber dem Eingang von Haycraft und McNiece. Ich sah aus, als wäre ich bereit zur letzten Runde: verlottert, zerzaust, verbissener Mund. Sogar Allison in ihrem Wildlederhemd mit dem Fransen an den Ärmeln schien über meinen Anblick bestürzt, und ihr eingeübtes Empfangsdamenlächeln fiel von sechzig Watt auf fünfundzwanzig.
»Ich muß mit Garry Steinberg reden«, sagte ich. Mein Tonfall ließ offenbar erkennen, daß ich zu Späßen nicht sonderlich aufgelegt war.
»Er ist hinten in seinem Büro«, sagte sie schüchtern. »Wissen Sie, welches?«
Ich nickte und stieß die Schwingtür auf. Schon erblickte ich Garry, der gerade durch den schmalen Innenkorridor zu seinem Büro ging und sich mit einem Stoß ungeöffneter Post auf den Schenkel klatschte.
»Garry?«
Er drehte sich um, strahlte, als er mich sah, und stutzte dann. »Wo kommen Sie her? Sie sehen erschöpft aus.«
»Ich bin gestern abend hier runtergefahren. Können wir uns unterhalten?«
»Klar. Kommen Sie rein.«
Er bog nach links in sein Büro und nahm einen Stapel Ordner von dem Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Möchten Sie einen Kaffee? Kann ich Ihnen irgendwas holen lassen?« Er warf die Post auf den Aktenschrank.
»Mir fehlt nichts, danke, aber ich muß einen Verdacht
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