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Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Titel: Kinsey Millhone 02- In aller Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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zunehmende Dunkelheit verwandelte die Sicht allmählich zu Brei. In allen Häusern die Straße hinauf und hinunter gingen die Lichter an, auch bei Lily Howe. Jemand parfümierte die Gegend mit Barbecueduft. Ich war hungrig, und ich mußte pinkeln, konnte mich aber nicht entscheiden, ob ich es riskieren sollte, mich hinter jemandes Busch zu hocken. Ich habe nicht das Gefühl, daß ich unter Penisneid leide, aber in Momenten wie diesem sehne ich mich nach den anatomischen Vorteilen.
    Um 21.23 Uhr öffnete sich Lilys Eingangstür, und Leonard und Marty kamen heraus. Ich lehnte mich vor und schielte hinaus. Es gab keine Verabschiedung. Die beiden stiegen ins Auto, knallten die Türen zu und fuhren rückwärts aus der Einfahrt. Ich wartete, bis ihr Wagen verschwunden war und ging dann aufs Haus zu. Das Verandalicht war ausgeschaltet worden. Ich klopfte. Einen Moment lang war es still, dann hörte ich, wie die Kette eingehakt wurde. Lily hatte ihre Anleitungen zur Verhütung von Vergewaltigungen gelesen. Gut für sie.
    »Wer ist da?« kam die gedämpfte Stimme von drinnen.
    Ich senkte meine Stimme zu einem Flüstern. »Ich bin’s. Ich habe meine Handtasche vergessen.«
    Die Einbrecherkette wurde zurückgezogen, und Lily öffnete die Tür einen Spalt breit. Ich drückte so schnell dagegen, daß ihr die Tür fast die Nase gebrochen hätte. Es gab einen Schlag, und sie schrie auf, aber bis dahin hatte ich die Tür schon hinter mir geschlossen.
    »Wir müssen miteinander reden«, sagte ich.
    Sie hielt sich eine Hand vors Gesicht, und ihr waren Tränen in die Augen gestiegen, aber nicht aufgrund eines Schadens, den ich ihr zugefügt hatte, sondern weil sie sehr aufgewühlt war. »Sie hat gesagt, daß sie mich umbringt, wenn ich etwas sage.«
    »Sie wird Sie auf jeden Fall umbringen, Sie Dummkopf. Was glauben Sie denn — daß sie fortgehen und Sie hierlassen, damit Sie sich verplappern? Hat sie Ihnen erzählt, was sie mit Wim Hoover gemacht hat? Sie hat ihm eine Kugel genau hinters Ohr gesetzt. Sie sind Hundefutter. Sie haben keine Chance.«
    Lily erblaßte. Ein Schluchzer brach an die Oberfläche wie eine Luftblase vom Grunde eines Sees, aber dann schien sie sich zusammenzureißen. Sie schloß die Augen und schüttelte den Kopf wie ein Gefangener im Angesicht der Folterbank. Es war ihr gleich, was ich ihr antat, sie würde jedenfalls nicht reden.
    »Verdammt noch mal! Sagen Sie mir, was hier gespielt wird!«
    Ihr Gesichtsausdruck verhärtete sich, und ich bekam einen plötzlichen Eindruck davon, wie sie als Kind gewesen sein mußte. Leonards Schwester wußte, wie man mit einem Großmaul wie mir umzugehen hatte. Sie wurde störrisch und teilnahmslos, eine defensive Haltung, die sie offensichtlich im Laufe der Jahre als eine Abwehrmöglichkeit perfektioniert hatte. Sie ging einfach auf Distanz, zog sich in sich selbst zurück wie eine Molluske. Sie muß als Kind regelmäßig bedroht worden sein, mit allem; angefangen von Tetanusspritzen, wenn sie sich nicht nach jedem Pinkeln die Hände wusch, bis hin zum Polizeigewahrsam, wenn sie nicht nach beiden Seiten sah, bevor sie die Straße überquerte. Anstatt die Regeln zu lernen, hatte sie gelernt, sich zu entziehen.
    Zu meiner Überraschung ging sie auf einen der türkisfarbenen Sessel zu und setzte sich ohne ein weiteres Wort hin. Sie nahm die Fernbedienung, schaltete den Fernsehapparat an und ging sechs Kanäle durch, bis sie die Slapstickserie gefunden hatte, die sie sehen wollte. Sie war dabei, mich abzuschalten. Ich ging zu dem Sessel hinüber, hockte mich neben sie und redete ernsthaft auf sie ein, während sie ihr Gesicht dem Bildschirm zugewandt hielt. Sie beobachtete gespannt, wie eine dralle Platinblondine in einem Kettenhemd sich anschickte, einen Geburtstagskuchen zuzubereiten.
    »Mrs. Howe, ich bin mir nicht sicher, ob Sie verstanden haben, was hier vor sich geht. Ihre Schwägerin hat zwei Menschen umgebracht, und niemand außer uns scheint sich dessen bewußt zu sein.«
    In einer großen Wolke staubte das Mehl hoch und ließ das Speckgesicht der Blondine verschwinden. Beschränkt wie sie war, hatte sie offensichtlich Backpulver und Hefe benutzt und das trockene Mehl so zur Explosion gebracht. Die Spur für Gelächter wurde auf »übermütig« gedreht. Oh, was für ein Weib! Was war sie doch für ein kleines Dummchen! Lily lächelte leicht. Vielleicht fühlte sie sich an eigene Backkatastrophen erinnert.
    Ich berührte ihren Arm. »Wir haben nicht mehr viel Zeit, Lil,

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