Kinsey Millhone 02- In aller Stille
nachmittags saß ich im Flugzeug Richtung Kalifornien. Weniger als zwölf Stunden war ich in Florida gewesen, und ich fragte mich, ob ich Elaine Boldt näher gekommen war. Es war möglich, daß Pat Usher ehrlich gewesen war, als sie behauptete, Elaine sei in Sarasota, aber ich hatte da meine Zweifel. Auf jeden Fall war ich scharf darauf, nach Hause zu kommen, und ich schlief wie eine Tote, bis das Flugzeug in L. A. landete.
Als ich am nächsten Morgen um neun ins Büro kam, stellte ich eine Routineanfrage an die Meldestelle der Führerscheininhaber beim Straßenverkehrsamt von Tallahassee, Florida, und eine zweite in Sacramento, nur für den Fall, daß Elaine vielleicht irgendwann im letzten halben Jahr ein Führerschein auf ihren Namen ausgestellt worden war. Ähnliche Nachfragen sandte ich an die Kfz-Zulassungsstellen in beiden Orten, nicht unbedingt in der Hoffnung, daß sich die Recherchen auszahlen könnten, sondern nur, um meine Pflicht getan zu haben. Ich legte alle vier Umschläge in meinen Ablagekorb. Dann nahm ich mir das Telefonbuch vor und suchte die Adressen der Reisebüros heraus, die sich in Fußgängerreichweite von Elaines Wohnanlage befanden. Ich hoffte, ihre Buchungen feststellen und erfahren zu können, ob sie ein Flugticket benutzt hatte. Bisher hatte ich nur Pat Ushers Wort darauf, daß Elaine überhaupt in Miami angekommen war. Vielleicht war sie nicht einmal bis zum Flughafen von Santa Teresa gekommen, oder vielleicht hatte sie ihren Flug irgendwo abgebrochen. Wie es auch gewesen sein mochte, ich mußte Punkt für Punkt überprüfen. Ich fühlte mich wie auf einem Fließband, von dem aus ich die Realität wie durch eine Diamantenlupe betrachtete. Im Leben eines Privatdetektivs ist kein Platz für Ungeduld, Zaghaftigkeit oder Schlamperei. Ich denke, dieselben Qualifikationen werden auch von Hausfrauen verlangt.
Die meisten meiner Nachforschungen verlaufen genau wie diese. Endlose Notizen, endlose Quellen, die gecheckt und noch mal gecheckt werden müssen, Spuren, die im Nichts enden. Normalerweise fange ich am gleichen Punkt an und arbeite mich mühsam methodisch voran, wobei ich zuerst nie weiß, was wichtig sein könnte. Alles hängt von Kleinigkeiten ab, von sorgfältig angehäuften Informationen.
Heutzutage ist es schwierig, anonym zu bleiben. Man kann über fast jeden Informationen einholen: Kreditwürdigkeit auf Mikrofilmen, militärischer Dienstgrad, laufende Verfahren, Trauungen, Scheidungen, Testamente, Geburten, Todesfälle, Führerscheinbesitz, Zulassungen, Kraftfahrzeugregister. Wenn du unsichtbar bleiben willst, zahle alles bar, und wenn du sündigst, laß dich nicht erwischen. Ansonsten kann dich jeder gute Privatdetektiv und sogar jede neugierige und hartnäckige Privatperson aufspüren. Mich erstaunt es, daß der durchschnittliche Bürger nicht paranoider ist. Die meisten unserer persönlichen Daten sind Bestandteil öffentlicher Statistiken. Man muß nur wissen, wie man sie herausbekommt. Was weder Landes- noch Stadtverwaltung in ihren Unterlagen führen, wird einem gewöhnlich der nächste Nachbar gern mitteilen, ohne daß auch nur ein Dollar seinen Besitzer wechselt. Da es keinen direkten Weg zu Elaine Boldt gab, mußte ich es eben mit einem indirekten versuchen. Sie hatte Boca zwei Wochen zu früh verlassen und war bei Nacht gereist, was sie Tillie zufolge nicht gern tat. Sie hatte Tillie gesagt, sie sei krank und verlasse die Stadt auf Anordnung des Arztes, aber es gab beim jetzigen Stand der Dinge keinen Beweis für diese Behauptung. Elaine könnte Tillie angelogen haben. Tillie könnte mich angelogen haben. Elaine könnte das Land verlassen und Pat Usher hingesetzt haben, um die Nachricht zu verbreiten, Elaine sei statt dessen in Sarasota. Ich hatte zwar keine Ahnung, warum sie das getan haben sollte, aber schließlich hatte ich ja auch noch eine Menge Boden abzugrasen.
Nachdem sich die Liste der in Frage kommenden Reisebüros auf sechs reduziert hatte, rief ich Beverly Danziger an und berichtete ihr über meinen Ausflug nach Florida. Ich wollte sie auf dem laufenden halten, auch wenn die Reise nicht viel gebracht hatte. Außerdem hatte ich eine Reihe Fragen an sie.
»Was ist mit Ihrer Familie?« fragte ich. »Leben Ihre Eltern noch?«
»Oh, nein, sie sind schon vor Jahren gestorben. Wir hatten nie einen besonders ausgeprägten Familiensinn. Ich glaube nicht, daß es Onkel oder Cousins gibt, mit denen sie verkehrte.«
»Was ist mit Jobs? Was hat sie
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