Kinsey Millhone 02- In aller Stille
einen Umschlag, den ich an Beverly adressierte. Ich fügte eine Aufstellung meiner bisherigen Ausgaben hinzu. Sie hatte mir über die siebenhundertfünfzig Dollar Vorschuß hinaus, die sie mir gegeben hatte, noch weitere zweihundertfünfzig Dollar genehmigt, bis zu einer Gesamtsumme, die »eintausend Dollar nicht ohne schriftliche Vereinbarung übersteigen« durfte — was vertragliches Geschwätz war, angesichts der Tatsache, daß wir schon fertig waren. Mit dem Flugpreis, dem Mietwagen, den Ferngesprächen und ungefähr dreißig Arbeitsstunden summierten sich die Gebühren auf 996 Dollar plus Kleingeld. Sie schuldete mir zweihundertsechsundvierzig Dollar. Ich nahm an, sie würde mich ausbezahlen und dann ihre Hände in Unschuld waschen. Meiner Vermutung nach hatte es ihr Spaß bereitet, einen Detektiv zu engagieren und eine Menge Wind um Elaine zu machen, die sie geärgert hatte, weil sie ihre Unterschrift nicht wie gewünscht auf die gepunktete Linie gesetzt hatte. Jetzt muß ihr plötzlich klar geworden sein, daß sie in ein Wespennest gestochen hatte.
Ich verschloß das Büro und warf die Briefe auf dem Heimweg in einen Briefkasten. Elaine Boldt wurde nach wie vor vermißt, und das gefiel mir gar nicht.
5
Mein Telefon klingelte um 2.08 Uhr morgens. Automatisch nahm ich den Hörer ab, aber in meinem Kopf herrschte noch völlige Leere.
»Kinsey Millhone.« Die Stimme war männlich und der Klang so neutral, als würde jemand wahllos aus einem Telefonbuch vorlesen. Irgendwie wußte ich, daß es ein Cop war. Sie hören sich alle so an.
»Ja. Wer ist da?«
»Miss Millhone, hier ist Streifenpolizist Benedict vom Santa Teresa Police Department. Wir sind zu einem 594 in die Via Madrina 2097, Apartment 1, gerufen worden, und eine Mrs. Ahlberg möchte Sie sehen. Wäre es Ihnen möglich, uns diesbezüglich zu unterstützen? Eine Polizistin ist zwar bei ihr, aber sie fragte speziell nach Ihnen, und wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie kommen könnten.«
Ich stützte mich auf dem Ellbogen auf, und einige Gehirnzellen schalteten auf Zündung. »Was ist ein 594?« fragte ich. »Mutwillige Zerstörung?«
»Ja, Ma’am!«
Es war klar, daß Streifenpolizist Benedict nichts riskieren wollte, indem er voreilig Fakten preisgab.
»Ist Tillie in Ordnung?« fragte ich.
»Ja, Ma’am. Sie ist unverletzt, aber sie steht unter Schock. Wir hätten Sie wirklich nicht gestört, aber der Lieutenant gestattete, Sie zu benachrichtigen.«
»Ich bin in fünf Minuten da«, sagte ich und hängte ein.
Ich schlug die Steppdecke zurück und griff nach meiner Jeans und meinem Sweatshirt und zog die Stiefel an, ohne von der Couch aufzustehen. Gewöhnlich schlafe ich in der eingeschlagenen Decke, weil das bequemer ist, als die Liegecouch aufzuklappen. Ich ging ins Bad, putzte mir die Zähne und spritzte mir Wasser ins Gesicht. Während ich meine wirren Haare mit den Fingern kämmte, schnappte ich mir die Schlüssel und lief zum Auto. Inzwischen war ich hellwach und fragte mich, über was für eine Art von 594 wir gesprochen hatten. Tillie Ahlberg war sicher nicht die Täterin gewesen, sonst hätte sie nicht mich, sondern einen Anwalt rufen lassen.
Die Nachtluft war kalt, und der Nebel hatte sich in der letzten halben Stunde vom Strand heraufgewälzt und die leeren Straßen mit feinem Dunst gefüllt. Ampeln blinkten pflichtbewußt von Rot auf Grün und wieder auf Rot, aber es gab keinen Verkehr, und ich fuhr so oft wie nötig bei Rot über die Ampel. Ein Streifenwagen parkte vor 2097, un d alle Lampen in Tillies Apartment brannten, aber es war offenbar ruhig: keine blinkenden Alarmlichter, keine Nachbarn, die sich auf dem Gehsteig zusammenrotteten. Ich kündigte mich über die Gegensprechanlage an, und jemand ließ mich herein. Ich zwängte mich durch die Tür rechts des Aufzugs und lief schnell den Flur zu Tillies Apartment hinunter. Einige Leute in Bademänteln und Schlafanzügen standen im Flur an der Tür, aber ein Streifenpolizist in Uniform forderte sie auf, wieder ins Bett zu gehen. Er erblickte mich und kam auf mich zu. Die Hände hatte er in die Hüften gestützt, als ob er sonst nicht wüßte, wohin mit ihnen. Er wirkte, als würde man ihn immer noch nach seinem Personalausweis fragen, wenn er einen Drink bestellte, aber aus der Nähe betrachtet, konnte man Spuren seines Alters entdecken: feine Linien um seine Augen und ein leichtes Nachlassen der Spannkraft seiner Haut am Kinn. Seine Augen waren alt, und ich wußte, er hatte bereits
Weitere Kostenlose Bücher