Kinsey Millhone 02- In aller Stille
Blick in meinem Rücken fühlen, dann hörte ich, wie die Tür geschlossen wurde. Ich ging weiter zum Parkplatz hinunter, stieg in meinen Wagen und fuhr davon. Ich wollte mit Mrs. Ochsner aus dem Nachbarapartment reden, aber ich dachte, es sei besser, damit noch zu warten. Etwas an Pat Usher gefiel mir nicht. Es lag nicht nur daran, daß einiges von dem, was sie mir erzählt hatte, gelogen gewesen war. Ich bin selbst eine geborene Lügnerin und weiß, wie man das macht. Man bleibt so nah wie möglich an der Wahrheit. Man gibt vor, ein paar Informationen freiwillig herauszurücken, aber die Aussagen sind alle sorgfältig gewählt, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Pats Problem war, daß sie viel zu weit ausholen mußte und mit Ausschmückungen begonnen hatte, wo sie besser den Mund gehalten hätte. Die Geschichte, wie Elaine Boldt sie in Fort Lauderdale in einem gemieteten weißen Cutlass mitgenommen hatte, war so ein Fehlgriff. Elaine hatte keinen Führerschein. Tillie hatte mir das erzählt. Im Moment konnte ich mir noch nicht erklären, warum Pat an dieser Stelle gelogen hatte, aber es mußte wichtig sein. Was mich wirklich an ihr gestört hatte, war, daß sie einfach keinen Stil hatte, und es kam mir merkwürdig vor, daß sich Elaine Boldt diese Frau als Freundin ausgesucht haben sollte. Nach dem, was Tillie und Beverly mir erzählt hatten, hatte ich das Gefühl, Elaine sei ein kleiner Snob, und für so eine Person schien mir Pat Usher nicht interessant genug.
Einen halben Block weiter entdeckte ich ein Geschäft, in dem ich zwei Päckchen Karteikarten kaufte, um mir einige Notizen machen zu können. Dann rief ich Mrs. Ochsner in 317 an. Endlich nahm sie den Hörer ab.
»Hallo?«
Ich meldete mich und teilte ihr mit, wo ich mich gerade aufhielt. »Ich war eben bei Pat Usher oben und habe mit ihr gesprochen, aber ich wollte sie nicht wissen lassen, daß wir uns kennen. Gibt es eine andere Möglichkeit, uns zu treffen?«
»Tja... wie aufregend«, meinte Mrs. Ochsner. »Was sollen wir tun? Ich könnte mit dem Aufzug zum Wäscheraum hinunterfahren. Er befindet sich direkt am Parkplatz, wissen Sie, und dort könnte ich bei Ihnen einsteigen.«
»Gut«, sagte ich. »In zehn Minuten komme ich vorbei.«
»Sagen wir fünfzehn. Ich bin langsamer, als Sie denken.«
Die Frau, der ich auf den Vordersitz half, war an einem Stock aus dem Wäscheraum herübergehumpelt gekommen. Sie war klein, hatte einen Alte-Frauen-Buckel von der Größe eines Rucksacks und weiße Haare, die ihr vom Kopf abstanden wie Löwenzahnfusseln. Ihre Gesichtshaut war schlaff und verwelkt wie die eines Apfelmännchens. Durch Arthritis waren ihre Hände in eine groteske Form gekrümmt worden, als ob sie beim Schattenspiel Gänseköpfe darstellen wollte. Sie trug ein Hauskleid, das an ihrer knochigen Gestalt herunterhing, und ihre Fußgelenke waren mit elastischen Binden umwickelt. Über ihrem linken Arm trug sie zwei Kleidungsstücke.
»Ich möchte das hier in der Reinigung abgeben«, sagte sie. »Sie können es hineinbringen. Außerdem würde ich gern am Supermarkt haltmachen. Ich habe keine Cornflakes und keine Milch mehr.« Ihr Auftreten war energisch, ihre Stimme zittrig, aber lebendig.
Ich ging um den Wagen herum zu meiner Seite und stieg ein. Ich ließ den Motor an und warf einen Blick zum dritten Stock hoch, um sicherzugehen, daß Pat Usher nicht dort stand und uns beobachtete. Ich fuhr vom Parkplatz hinunter. Mrs. Ochsner sah mich forschend an.
»Sie sehen überhaupt nicht so aus, wie Sie sich am Telefon angehört haben«, stellte sie fest. »Ich dachte, Sie seien blond und blauäugig. Welche Augenfarbe haben Sie denn, grau?«
»Haselnußbraun«, erwiderte ich. Ich schob meine Sonnenbrille hoch, damit sie sie sehen konnte. »Wie kommt man von hier aus zur Reinigung?«
»Sie ist direkt neben dem Geschäft, von dem aus Sie anriefen. Wie nennt sich Ihr Haarschnitt?«
Ich sah mich im Rückspiegel an. »Ich glaube, er hat gar keinen Namen. Ich schneide sie selbst, alle sechs Wochen, mit der Nagelschere. Ich lasse meine Haare so kurz, weil ich mich nicht mit ihnen herumärgern will. Warum? Meinen Sie, es sieht nicht gut aus?«
»Ich weiß noch nicht. Möglicherweise paßt es zu Ihnen, aber ich kenne Sie nicht gut genug, um das beurteilen zu können. Wie ist das mit mir? Sehe ich aus, wie ich mich anhöre?«
Ich blickte zu ihr hinüber. »Am Telefon klangen Sie wie ein Heißsporn.«
»War ich auch, als ich so alt war wie Sie. Heute
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