Kinsey Millhone 02- In aller Stille
zu allgemein — , so daß die paar Typen, die sich hier hineinverirren, blaß und ungesund aussehen. Ein Fernseher auf der Theke bringt gewöhnlich bunte Bilder ohne Ton, und ein Rundbogen darüber sieht aus wie aus Gips geformt und mit Ruß bestäubt. Mir ist es fast peinlich, zu sagen, wie sehr ich dieses Lokal mag. Es wird nie eine Touristenattraktion sein. Es wird nie eine Single-Bar sein. Es wird niemals »entdeckt« oder auch nur mit einem halben Stern ausgezeichnet werden. Es wird immer nach verschüttetem Bier, Paprika und heißem Fett riechen. Es ist ein Ort, an dem ich alleine essen gehen kann und nicht einmal ein Buch mitnehmen muß, um unerwünschte Gesellschaft zu vermeiden. Ein Mann müßte sich schon Gedanken machen über eine Frau, die er in einer Kneipe wie dieser findet.
Die Eingangstür öffnete sich, und das alte Weib, das auf der anderen Straßenseite wohnt, kam herein, gefolgt von Jonah Robb, mit dem ich an diesem Morgen in der Vermißtenabteilung gesprochen hatte. In seinen Zivilsachen hätte ich ihn beinahe nicht erkannt. Er trug Jeans, ein graues Tweedjacket und braune Stiefel. Sein Hemd wirkte neu; die Verpackungsfalten waren noch sichtbar und der Kragen fest gestärkt und steif. Er bewegte sich wie ein Mann, der ein Schulterhalfter unter dem linken Arm trägt. Augenscheinlich war er hereingekommen, um mich zu suchen, denn er steuerte geradewegs meinen Tisch an und ließ sich nieder.
Ich sagte: »Hallo. Nehmen Sie Platz.«
»Ich hörte, daß Sie hier verkehren«, meinte er. Er schaute sich um und zog die Augenbrauen leicht hoch, als wäre das Gerücht zwar wahr, aber kaum zu glauben. »Weiß das Gesundheitsamt über dieses Lokal Bescheid?«
Ich lachte.
Rosie, die gerade aus der Küche kam, sah Jonah, blieb auf der Stelle stehen und ging zurück, als würde sie an einem Seil nach hinten gezerrt.
Er sah sich über die Schulter um, ob er etwas verpaßt hatte.
»Was ist los? Hat sie mich als Cop erkannt? Hat sie Probleme damit?«
»Sie überprüft ihr Make-up. In der Küchentür hängt ein Spiegel«, erklärte ich.
Rosie erschien erneut und lächelte gekünstelt kokett, als sie mir das Besteck in eine Papierserviette eingewickelt auf den Tisch warf.
»Du hast nicht gesagt, daß du jemanden eingeladen hast«, murmelte sie. »Beabsichtigt dein Freund, einen kleinen Happen zu essen? Oder eine flüssige Erfrischung vielleicht? Bier, Wein, Mixgetränke?«
»Bier klingt gut«, meinte er. »Was haben Sie vom Faß?«
Rosie faltete die Hände und betrachtete mich interessiert. Sie verhandelt nie direkt mit einem Fremden, also wurden wir gezwungen, dieses kleine Spielchen mitzuspielen, mit mir als Dolmetscher, als wäre ich plötzlich bei der UNO angestellt.
»Haben Sie immer noch Mich vom Faß?« fragte ich.
»Selbstverständlich. Warum sollte ich etwas anderes haben?«
Ich schaute Jonah an, und er nickte zustimmend. »Dann nehmen wir wohl ein Mich. Haben Sie Hunger? Das Essen ist großartig.«
»Um so besser«, erwiderte er. »Was würden Sie empfehlen?«
»Wie wär’s, wenn Sie die Bestellung einfach verdoppeln würden, Rosie? Könnten Sie das für uns tun?«
»Natürlich.« Sie sah ihn mit heimlicher Anerkennung an. »Ich hatte ja keine Ahnung«, sagte sie. Ich fühlte, wie sie mich im Geiste mit dem Ellbogen anstieß. Mir war klar, wie ihre Bewertung zustande kam. Sie schätzte Gewicht bei Männern. Sie schätzte dunkle Haare und unkompliziertes Verhalten. Dann entfernte sie sich von unserem Tisch und ließ uns allein. Wenn ich mit Freundinnen herkomme, ist sie nicht annähernd so wohlwollend.
»Was führt Sie hierher?« fragte ich.
»Langeweile. Neugier. Ich habe Ihre Vergangenheit und Ihr Umfeld untersucht, um uns das ganze Gerede über diesen blöden Kram zu ersparen.«
»Damit wir gleich zu welcher Sache kommen können?« fragte ich.
»Meinen Sie, ich wollte Sie anmachen oder so?«
»Klar«, erwiderte ich. »Neues Hemd. Kein Trauring. Ich wette, Ihre Frau hat Sie vorletzte Woche verlassen, und Sie haben sich vor weniger als einer Stunde rasiert. Das Rasierwasser an Ihrem Hals ist noch nicht trocken.«
Er lachte. Er hatte ein harmloses Gesicht und gute Zähne. Er beugte sich auf den Ellbogen vor. »Also, es war so«, sagte er. »Mit dreizehn lernte ich sie kennen und war mit ihr von der Zeit an zusammen. Ich denke, sie entwickelte sich weiter, aber ich konnte das nicht, zumindest nicht mit ihr. Ich wußte nichts mit mir anzufangen. In Wirklichkeit ist sie schon seit einem
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