Kinsey Millhone 02- In aller Stille
einem Plastikbecher Wein für mich und etwas Alkoholfreiem für sich zurück. Er setzte sich und suchte den Raum nach getarnten Schnüfflern ab. Erwirkte befremdlich reif, und ich hatte Schwierigkeiten, mit der Zwiespältigkeit dieses Jungen klarzukommen, der aussah wie ein Pfadfinder und sich benahm wie ein Praktikant im Management der Mafia. Er drehte sich zu mir. Die beiden Ellbogen ruhten auf dem Tisch. Er hatte ein Tütchen Zucker aus dem Behälter auf dem Tisch genommen und klopfte und drehte es unablässig. Das meiste von dem, was er zu sagen hatte, richtete er an die Scherzfrage auf der Rückseite der Tüte.
»Okay. Folgendes ist passiert«, begann er, »und ich sage Ihnen die Wahrheit. Zuallererst, ich habe nichts bei Onkel Leonard und Tante Marty versteckt gehabt, bevor sie starb und er auszog. Als die Cops und alles vorbei war, kam es mir, daß der Geräteschuppen eigentlich perfekt sein müßte. Also hab ich das Zeugs dahin gebracht. Jedenfalls bin ich an dem Abend, als sie ermordet wurde, zum Haus gegangen...«
»Wußte sie, daß du kommen würdest?«
»Nee, da komm ich noch zu. Ich meine, ich wußte, daß sie dienstags abends ausgingen, und ich glaubte, sie wären weg. Es war so, wissen Sie, wenn ich mal schlecht dran war und ein paar Dollars oder so brauchte, bin ich schon mal vorbeigegangen und hab ein bißchen Kleingeld eingesteckt. Sie hatten immer Bares im Haus — nicht viel, aber genug. Oder manchmal hab ich auch irgendetwas mitgenommen, das ich woanders loswerden konnte. Nichts, was sie vermissen würden, und es hat auch nie jemand ein Wort darüber verloren. Also dachte ich, sie hätten gar nichts bemerkt. Jedenfalls, was passierte, war, daß ich an dem Abend rüberfuhr und glaubte, es wäre keiner zu Hause, aber als ich ankam, war die Tür offen — «
»Die Tür stand offen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich hab einfach nur den Knopf umgedreht, und sie war nicht verschlossen. Als ich den Kopf reinsteckte, wußte ich, daß etwas Merkwürdiges drinnen vorging
Ich wartete und beobachtete ihn unbehaglich.
Er räusperte sich und sah über seine Schulter hinweg zum Vordereingang. Seine Stimme wurde leiser.
»Ich glaube, der Typ war noch da, verstehen Sie? Das Licht im Keller brannte, und ich hörte, wie sich da unten jemand herumtrieb. Und da war so ein Teppich im Flur, wie ein Bettvorleger, der war über was drübergeworfen worden. Ich sah eine Hand hervorstehen, blutüberströmt. Mensch, ich bin abgehauen.«
»Bist du ganz sicher, daß sie in dem Moment schon tot war?«
Er nickte und ließ den Kopf hängen. Mit der Hand fuhr er sich durch seinen rosa Mittelstreifen aus Haaren und sah zur Seite. »Ich hätte die Cops rufen sollen. Ich weiß, daß ich es hätte tun müssen, aber ich bin einfach durchgedreht. Ich hasse so einen Scheiß. Und was hätte ich schon tun sollen? Ich hätte den Cops nichts erzählen können, und ich wollte nicht, daß sie sich mich näher ansahen, also hielt ich den Mund. Ich meine, ich dachte, das macht keinen Unterschied. Ich hab ja nicht gesehen, wer es getan hat oder so was.«
»Kannst du dich sonst an irgend etwas erinnern? Ein Auto, das vor dem Haus stand...«
»Ich weiß nicht, ich bin nicht lange dageblieben. Ich hab einen Blick auf diese Scheiße geworfen und weg war ich. Ich habe Benzindämpfe oder so was gerochen und...«
Er zögerte kurz. »Moment mal, ja, da stand noch eine braune Einkaufstüte im Flur. Ich weiß nicht, was sie da sollte. Ich meine, ich wußte ja nicht, was zum Teufel da passierte, also zog ich mich einfach schön still zurück und fuhr hier runter und sorgte dafür, daß die Leute mich sahen.«
Ich nahm einen Schluck Wein und ließ mir seine Geschichte durch den Kopf gehen. Der Chablis schmeckte wie fermentierter Grapefruitsaft. »Erzähl mir was über die Einkaufstasche. War sie leer, voll, zerknittert?«
»Es war was drin, glaube ich. Ich meine, ich hab nichts Bestimmtes gesehen. Es war eine dieser braunen Papiertüten von Alpha Beta, die gleich rechts an der Tür stand.«
»Sah es so aus, als sei sie einkaufen gewesen? Willst du das damit sagen?«
Er zuckte die Achseln. »Es sah einfach wie Müll aus, denke ich. Ich weiß nicht. Vielleicht gehörte sie dem, der im Keller war, wer immer das war.«
»Wie schade, daß du die Cops nicht anonym angerufen hast. Vielleicht hätten sie da sein können, bevor sich das Haus in Rauch auflöste.«
»Ja, weiß ich. Ich hab später noch mal darüber nachgedacht, und ich fühlte mich
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