Kinsey Millhone 02- In aller Stille
Marty. Netter Zug, dachte ich. Ich lächelte kurz.
»Nicht ganz, aber so ähnlich.«
Er schaute erst die Straße hinunter, dann auf die Spitzen seiner Kobrastiefel. »Weil ich da etwas habe... verstehen Sie, so ’ne Art Information darüber.«
»Was für eine Information?«
»Etwas, was ich den Cops nie erzählt habe. Also können wir vielleicht einen Handel abschließen«, meinte er. Er steckte die Hände in die Jackentaschen und sah mich wieder an. Sein Gesicht war unschuldig, sein Aussehen offen, der Blick in seinen Augen so rein, daß ich ihm mein Erstgeborenes gegeben hätte, wenn ich eins gehabt hätte. Ein ermunterndes Lächeln huschte über sein Gesicht, und ich fragte mich, wieviel Geld er damit machte, das Dope an seine Highschool-Freunde zu verkaufen. Und ich fragte mich, ob er wohl mit einer Kugel im Kopf enden würde, weil er jemanden, der etwas höher in der Rangliste stand, betrogen hatte. Ich war an dem, was er zu sagen hatte, interessiert, und das wußte er. Ich mußte schnellen Frieden mit meiner eigenen Bestechlichkeit schließen, und das war nicht besonders schwierig. In Momenten wie diesem wußte ich, daß ich bereits zu lange im Geschäft war.
»Was für ein Handel?«
»Geben Sie mir bloß Zeit, das Zeugs hier rauszuschaffen, bevor Sie jemandem davon erzählen. Ich wollte es sowieso woanders hinbringen, weil die Schnüffler ein paar Undercover-Agenten an unserer Schule haben, und ich dachte, ich tret mal ein bißchen kürzer, bis die Luft rein ist.«
Wir reden hier nicht über dauerhafte Besserung, Leute. Wir reden über den simplen Nutzen, aber zumindest wollte der Kleine mich nicht reinlegen... nicht allzu sehr, jedenfalls.
Wir schauten uns an, und etwas veränderte sich. Ich wußte, ich hätte schreien und stampfen und ihm drohen können. Ich wußte, ich hätte fromm und moralisch und mißbilligend sein können, und es hätte kein bißchen geändert. Er kannte den Stand der Dinge genauso gut wie ich, und was wir einander anzubieten hatten, könnte für beide ein ganz gutes Geschäft werden.
»In Ordnung, du hast gewonnen«, sagte ich.
»Lassen Sie uns irgendwohin gehen und reden«, schlug er vor. »Ich frier mir die Eier ab.«
Mich ärgerte die Erkenntnis, daß ich angefangen hatte, ihn einfach ein ganz kleines bißchen zu mögen.
15
Wir fuhren ins The Clockworks in der State Street, er auf seinem Motorrad und ich mit dem Auto hinterher. Das Lokal ist eine Teenie-Kneipe und sieht aus wie aus einem Rockvideo: ein langer, schmaler, anthrazitgrau gestrichener Raum mit einer hohen Decke und einer Beleuchtung in Form von rosa- und lilafarbenen Neonröhren. Das Ganze ähnelt dem Inneren einer Uhr in abstrakten und futuristischen Formen. Mobiles, die wie große schwarze Zahnräder aussehen, hängen von der Decke herab und werden vom Rauch in der Luft in ruhigen Kreisen bewegt. In der Nähe der Tür stehen vier kleine Tische, und zur Linken solche Dinge, die wie brusthohe Regale aussehen, in reinen Stehnischen, wo Paare knutschen und Sodabrause trinken können. Die an der Wand angeschlagene Speisenkarte ist gespickt mit kleinen Gerichten wie gemischten Salaten und Knoblauchtoasts, an denen die Jugendlichen knabbern können und die fünfundsiebzig Cents kosten, einschließlich des Privilegs, einen Tisch stundenlang zu besetzen. Außerdem kann man zwei Sorten Bier und eine Hausmarke Chablis bestellen, wenn man alt genug ist und den Beweis dafür dabei hat. Es war nun beinahe Mitternacht, und nur zwei weitere Leute hielten sich in dem Lokal auf, aber der Besitzer kannte Mike offensichtlich, und sein Blick glitt abschätzend zu mir hinüber. Ich versuchte, so auszusehen, als sei ich nicht Mikes Rendezvous. Ich habe ja nichts gegen eine Mai- bis Dezemberromanze dann und wann mal, aber mit einem Siebzehnjährigen? Außerdem bin ich mir über die Etikette bei Geschäften mit jugendlichen Rauschgifthändlern nicht ganz im klaren. Wer zahlt die Getränke? Ich wollte nicht, daß sein Selbstbewußtsein Schaden erlitt.
»Was möchten Sie?« fragte er und ging zum Tresen hinüber.
»Chablis wäre gut«, erwiderte ich. Da er bereits seine Brieftasche herausholte, ließ ich ihn zahlen. Wahrscheinlich machte er an die dreißig Riesen im Jahr mit dem Verkauf von Gras und Pillen. Der Besitzer schaute wieder zu mir hinüber, und ich winkte ihm beiläufig mit meinem Personalausweis. Ich wollte andeuten, daß er mich ruhig kontrollieren, sich den Weg durch den Raum aber auch sparen könne.
Mike kam mit
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