Kinsey Millhone 02- In aller Stille
ganz schön mies, weil ich es nicht getan hatte, aber ich konnte eben nicht mehr richtig denken.« Er kippte seinen Saft hinunter, klapperte mit dem Eis im Becher und ließ sich einen Würfel in den Mund rutschen. Ich hörte das Eis zwischen seinen Zähnen knirschen. Es klang wie bei einem Pferd, das auf seinem Zaumzeug kaut.
»Kannst du dich an noch etwas erinnern?«
»Nein, ich glaube, das war’s. Als mir klar wurde, was da vor sich ging, bin ich da weg und so schnell ich konnte hierher gerast.«
»Hast du eine Ahnung, wie spät es war?«
»Nee, nicht genau. Es war Viertel vor neun, als ich hier ankam, und ich hab wahrscheinlich zehn Minuten mit dem Motorrad gebraucht, bis ich einen Parkplatz gefunden hatte und so. Ich mußte den Bock zwei Blöcke lang schieben, damit keiner hörte, wie ich ihn anließ. Es war vielleicht halb neun oder so was in der Ecke, als ich bei Onkel Leonard losging.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht halb neun. Du meinst halb zehn. Sie ist nicht vor neun ermordet worden.«
Er nahm den Becher vom Mund und schaute mich verwirrt an.
»Nicht?«
»Dein Onkel und Mrs. Howe sagen, sie hätten um neun mit ihr gesprochen, und die Cops haben um sechs nach neun einen Anruf bekommen, von dem sie annehmen, daß er von deiner Tante kam.«
»Tja, vielleicht habe ich mich vertan, weil ich dachte, es wär Viertel vor neun gewesen, als ich hier ankam. Ich hab auf die Uhr gesehen, als ich hereinkam, und dann habe ich noch so ’n Kumpel von mir gefragt, wie spät es war, und er hat auch auf die Uhr gesehen.«
»Ich werde sehen, daß ich das nachprüfe«, sagte ich. »Übrigens, auf welche Weise bist du mit Leonard verwandt?«
»Mein Dad und er sind Brüder. Dad ist der jüngste in der Familie.«
»Dann ist Lily Howe ihre Schwester.«
»So etwa.«
Die lila Neonleuchten begannen zu blinken, und die rosafarbenen gingen aus. Der Kneipenbesitzer rief zu unserem Tisch hinüber: »Wir schließen in zehn Minuten, Mike. Tut mir leid, daß ich euch unterbrechen muß.«
»Schon gut. Danke, Alter.«
Wir standen auf und gingen zum Hinterausgang. Er war nicht viel größer als ich, und ich fragte mich, ob wir eher wie Bruder und Schwester oder wie Mutter und Sohn aussahen. Ich sagte nichts mehr, bis wir zum Parkplatz kamen.
»Hast du eine Theorie, wer deine Tante getötet haben könnte?«
»Nein, Sie?«
Ich schüttelte den Kopf. »An deiner Stelle würde ich die Hütte ausräumen.«
»Ja, klar. Das war die Abmachung, nicht?«
Er stieg auf sein Motorrad und ich in meinen VW. Er wartete, bis ich losgefahren war und röhrte dann davon.
Ich hatte vor, den Fall übers Wochenende liegenzulassen, weil ich nicht wußte, was ich noch tun konnte. Am Samstagmorgen ging ich zu Hause noch mal die Polizeiberichte durch. Ich fügte neue Karteikarten zu meiner Sammlung am Pinnbrett, aber ansonsten mußte ich abwarten. Montag würde ich vielleicht eine Antwort auf die Kleinanzeigen bekommen, die ich in den Zeitungen Floridas aufgegeben hatte. Oder möglicherweise hörte ich etwas vom Straßenverkehrsamt in Tallahassee oder Sacramento. In der Hoffnung auf weitere Aufschlüsse wartete ich auch immer noch auf das Flugticket, das Julia Ochsner mir schicken wollte. Wenn dabei nichts Neues ans Licht kam, mußte ich noch mal ganz von vorn anfangen, neue Spuren zu suchen. Ich mußte auch noch die einheimischen Tierärzte überprüfen, um zu sehen, ob ich etwas über den Kater herausbekommen konnte.
Ich nahm mir ein paar Minuten Zeit, die drei Taxiunternehmen anzurufen. Der Funker, mit dem ich bei Green Stripe sprach, sagte, er habe noch keine Möglichkeit gehabt, seine Unterlagen durchzugehen. Der Besitzer von City Cab hatte nachgesehen und nichts gefunden, und Ron Coachelia von Tip Top war noch nicht da, aber der Funker vom Dienst meinte, er müsse jeden Moment kommen. Das war dies.
Ich fuhr zum Büro. Ich hatte das eigentlich nicht vorgehabt, aber ich konnte nicht anders. Ich fühlte mich nervös und unruhig und unzufrieden. Ich mag es nicht, wenn ich bei solchen Sachen nicht weiterkomme. California Fidelity war übers Wochenende geschlossen. Ich sperrte meine Tür auf und hob die Post auf, die durch den Schlitz geschoben worden war. Ein Briefumschlag mit Julia Ochsners Absender darauf. Ich warf ihn auf den Schreibtisch, während ich die Nachrichten auf dem Band abhörte. Es war nur eine, und sie war offensichtlich gerade eingegangen.
»Hallo, Kinsey. Hier ist Ron Coachello von dem Taxiunternehmen. Ich habe die
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