Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief
schienen beide erleichtert. Glens Zielstrebigkeit muß für sie eine erschreckende Aussicht gewesen sein.
Glen hatte angeordnet, daß Bobbys Sarg geschlossen wurde, doch ich konnte ihn noch einen Moment lang in der Leichenhalle sehen, nachdem er »zurechtgemacht« worden war. In gewisser Beziehung brauchte ich diesen letzten Blick, um mich zu vergewissern, daß er wirklich tot war. Gott, diese Stille des Fleisches, wenn kein Leben mehr drin ist. Glen stand neben mir. Ihr Blick war auf Bobbys Gesicht gerichtet, und ihr eigener Gesichtsausdruck war genauso leer und leblos wie seiner. Etwas hatte sie mit seinem Tod verlassen. Sie blieb standhaft, aber ihr Griff um meinen Arm wurde fester, als der Sargdeckel geschlossen wurde.
»Leb wohl, Baby«, flüsterte sie. »Ich liebe dich.«
Ich drehte mich schnell um.
Derek näherte sich von hinten, und ich sah, wie er eine Bewegung machte, als wolle er sie berühren. Sie bewegte sich zwar nicht, strahlte aber eine dermaßen grenzenlose Wut aus, daß er Abstand hielt, eingeschüchtert von dieser Kraft. Kitty stand an der hinteren Wand, versteinert. Ihr Gesicht war fleckig von einsam vergossenen Tränen. Irgendwie vermutete ich, daß sie und ihr Vater nicht mehr lange in Glens Leben weilen würden. Bobbys Tod hatte den Verfall des Haushalts beschleunigt. Glen schien ungeduldig darauf zu warten, allein zu sein, und verhielt sich unduldsam, unfähig zu einem normalen Umgang miteinander. Sie waren Nehmer. Sie hatte nichts mehr zu geben. Ich kannte diese Frau kaum, aber mir war klar, daß sie plötzlich unter ganz anderen Voraussetzungen agierte als früher. Derek beobachtete sie unbehaglich und fühlte vielleicht, daß er kein Bestandteil ihrer neuen Pläne war, wie immer sie aussehen mochten.
Bobby wurde am Samstag beerdigt. Der Gottesdienst war glücklicherweise kurz. Glen hatte die Musik und ein paar Abschnitte aus verschiedenen nichtbiblischen Quellen ausgewählt. Ich tat es ihr gleich und überlebte den Nachruf, indem ich sorgfältig eine innere Distanz zu dem schaffte, was gesagt wurde. Ich würde mich nicht heute mit Bobbys Tod auseinandersetzen. Ich würde nicht in einer öffentlichen Veranstaltung wie dieser die Beherrschung verlieren. Dennoch gab es Momente, in denen ich mein Gesicht heiß werden fühlte und sich ein Tränenschleier vor meine Augen zog. Es war mehr als dieser eine Verlust. Es waren alle Toten, jeder Verlust — meine Eltern, meine Tante.
Der Trauerzug muß zehn Blocks lang gewesen sein. Gemessenen Tempos ging er quer durch die Stadt. An jeder Kreuzung war der Verkehr gezwungen, so lange anzuhalten, bis wir vorbei waren, und ich konnte die Kommentare in den Gesichtern lesen, die wir passierten. »Ooh, eine Beerdigung. Wessen wohl?«
»Ein herrlicher Tag dafür.«
»Mein Gott, schau dir bloß all diese Wagen an.«
»Los, los. Macht, daß ihr vorbeikommt.«
Wir fuhren auf den Friedhof, der so grün und landschaftlich so sorgfältig gestaltet war wie ein Wohngebiet. Grabsteine erstreckten sich in alle Richtungen, eine abwechslungsreiche Ausstellung, wie der mit Arbeitsproben bestückte Hof eines Steinmetz. Hier und da wuchsen immergrüne Pflanzen, standen Gruppen von Eukalyptusbäumen oder Platanen. Die Friedhofsparzellen waren durch niedrige Hecken abgeteilt und hatten auf einem Lageplan wahrscheinlich Namen wie Ewiger Frieden und Himmlische Wiese.
Wir parkten, und alle marschierten über den frisch gemähten Rasen. Es war wie bei einem Grundschulausflug: Jeder zeigte sich von seiner besten Seite, keiner wußte, was als nächstes zu tun war. Gelegentlich kam es zu gemurmelten Gesprächen, doch die meiste Zeit herrschte Schweigen. Personal des Bestattungsunternehmens in dunklen Anzügen eskortierte uns zu unseren Plätzen wie Brautjungfern bei einer Trauung.
Der Tag war heiß, die Nachmittagssonne brannte. Eine Brise raschelte in den Baumwipfeln und hob kokett die Seiten der Zeltplane an. Pflichtbewußt saßen wir da, während der Pfarrer die Schlußzeremonie durchführte. Hier draußen fühlte ich mich wesentlich wohler, und mir wurde klar, daß das an der fehlenden Orgelmusik lag, die die Grabfeierlichkeiten weniger mächtig erscheinen ließ. Selbst das banalste aller Kirchenlieder kann einem bei solchen Gelegenheiten das Herz brechen. Ich zog das Geräusch des Windes vor.
Bobbys Sarg war ein wuchtiges Ding aus glänzendem Walnußholz und Messing, wie eine übergroße Bettzeugtruhe, die zu groß für den ihr zugeteilten Raum wirkte. Natürlich
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