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Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Titel: Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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halten, die dort als Bearbeiterin für Schadensfälle bei der California-Fidelity-Versicherung arbeitet. Auf dem Weg zum Gericht machte ich noch einen Abstecher zur Bank und ließ den größten Teil des Geldes auf mein Sparbuch überweisen. Für das Girokonto ließ ich nur soviel übrig, daß meine laufenden Kosten gedeckt waren.
    Der Tag, der schon mit einem Vorglühen begonnen hatte, hatte sich inzwischen auf Gluthitze hochgekurbelt. Die Bürgersteige flimmerten, und die Palmen sahen sonnengebleicht aus. Dort, wo vereinzelte Schlaglöcher in der Straße gefüllt worden waren, war der Asphalt weich und körnig wie Mürbeteig.
    Das Gericht von Santa Teresa sieht aus wie ein Moorschloß: handgeschnitzte Holztüren, Türmchen und schmiedeeiserne Balkone. Im Inneren gibt es so viele Mosaikfliesen an den Wänden, daß sie aussehen, als seien sie mit Patchworkdecken dekoriert. Einer der Gerichtssäle stellt ein fortlaufendes Wandgemälde zur Schau, das die Kolonialisierung Santa Teresas durch die frühen spanischen Missionare schildert. Es ist eine Art Walt-Disney-Version von dem, was tatsächlich geschah, denn der Künstler unterschlägt die Einschleppung der Syphilis und die Bestechung der Indianer. Ich persönlich ziehe es vor, die Wahrheit zu verbreiten. Es könnte schwierig werden, sich auf Gerechtigkeit zu konzentrieren, wenn man dabei auf ein paar Haufen armer Indianer in den Endstadien der Parese starren müßte.
    Ich ging unter dem großen Bogen hindurch zum vertieft angelegten Garten auf der Rückseite des Gebäudes. Ungefähr zwei Dutzend Menschen waren auf dem Rasen verteilt. Manche aßen zu Mittag, andere hielten ein Schläfchen oder nahmen ein Sonnenbad. Beiläufig registrierte ich die Vorzüge eines gutaussehenden Mannes in einem hellblauen, kurzärmeligen Hemd, der in meine Richtung kam. Ich nahm eine dieser visuellen Begutachtungen vor, indem ich unten anfing und mich dann hochmusterte. Hmm, schmale Hüften... hmm, flacher Bauch, kräftige Arme, dachte ich. Er stand schon fast vor mir, als ich sein Gesicht betrachtete und feststellte, daß es Jonah war.
    Ich hatte ihn seit Juni nicht mehr gesehen. Offenbar hatte eine Diät oder eine gewichtsreduzierende Lebensweise wie ein Zauber gewirkt. Sein Gesicht, das ich in der Vergangenheit immer als »harmlos« bezeichnet hatte, war nun hübsch konturiert. Seine dunklen Haare waren gewaschen, und er konnte eine gewisse Sonnenbräune vorweisen, so daß seine blauen Augen jetzt in einem Gesicht in der Farbe von Ahornzucker strahlten.
    »Mein Gott«, entfuhr es mir, die ich schlagartig in meinen Gedankengängen unterbrochen war. »Du siehst großartig aus.«
    Erfreut schenkte er mir ein strahlendes Lächeln. »Findest du? Danke. Ich muß so um die zwanzig Pfund verloren haben, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.«
    »Wie hast du das geschafft? Mit harter Arbeit?«
    »Ja, ich habe ein bißchen daran gearbeitet.«
    Er stand da und starrte mich an, und ich starrte zurück. Er strömte Pheromone aus, vielleicht ein nach Moschus duftendes Aftershave, und ich fühlte, wie sich meine Körperchemikalien zu regen begannen. In Gedanken schüttelte ich mich. Das konnte ich nicht gebrauchen. Das einzige, was schlimmer ist als ein Mann, der gerade aus einer Ehe heraus ist, ist einer, der immer noch drin steckt.
    »Ich habe gehört, daß man dich angeschossen hat«, meinte er.
    »Bloß eine .22er, die zählt kaum. Außerdem wurde ich verprügelt, und das war es, was wirklich weh getan hat. Ich weiß nicht, wie Männer so’n Scheiß aushalten«, erwiderte ich. Wehmütig rieb ich mir den Nasenrücken. »Hab mir den Rüssel gebrochen.«
    Spontan streckte er seine Hand aus und fuhr mir über die Nase. »Sieht aber ganz in Ordnung aus.«
    »Danke«, gab ich zurück. »Sie schnauft auch noch ganz gut.«
    Wieder trat eine peinliche Stille ein, von der unsere Beziehung schon immer gekennzeichnet gewesen war.
    Ich verlagerte meine Tasche von einer Schulter zur anderen, um irgend etwas zu tun zu haben. »Was hast du uns mitgebracht?« fragte ich und zeigte auf die Papiertüte in seiner Hand.
    Er blickte hinab. »Ach ja. Ganz vergessen. Hm, Sandwiches, Pepsis, und Famous Amos -Kekse.«
    »Dann könnten wir ebensogut essen«, schlug ich vor.
    Er bewegte sich nicht. Dann schüttelte er den Kopf. »Kinsey, ich kann mich nicht daran erinnern, so etwas schon einmal erlebt zu haben«, gestand er. »Warum können wir nicht auf das verdammte Essen verzichten und hinter dem Busch

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