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Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Titel: Kinsey Millhone 04 - Ruhelos
Autoren: Sue Grafton
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noch verpflichtet. Natürlich hätte mich wahrscheinlich nicht soviel Menschenliebe gepackt, wenn er noch gelebt hätte, aber die Toten sind wehrlos, und irgend jemand auf dieser Welt muß sich um sie kümmern.
    »Ich lasse gleich Montag früh von meiner Sekretärin einen Scheck für Sie ausstellen«, sagte sie. Dann drehte sie sich um, starrte durch die Doppeltür in die Dämmerung. Sie lehnte den Kopf ans Glas.
    »Ist alles in Ordnung?«
    »Sie haben keine Ahnung, wie oft ich mir gewünscht habe, er wäre tot. Haben Sie je mit einem Alkoholiker zu tun gehabt?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Sie machen einen wahnsinnig. Ich habe ihn immer angeschaut und war überzeugt, er könnte zu trinken aufhören, wenn er nur wollte. Ich weiß nicht, wie oft ich mit ihm geredet habe, ihn angefleht habe aufzuhören. Ich dachte, er würde nicht begreifen. Ich dachte, er wäre sich einfach nicht klar darüber, was wir durchmachten, meine Mutter und ich. Ich kann mich noch an den Ausdruck in seinen Augen erinnern, wenn er betrunken war. Es waren kleine, rosige Schweinsäuglein. Sein ganzer Körper strahlte den Geruch aus. Bourbon. Großer Gott, ich hasse das Zeug. Er roch, als hätte jemand eine Flasche Fusel in einen Heizlüfter geschüttet... Wogen von diesem Geruch. Er stank danach aus allen Poren.«
    Sie schaute zu mir her, die Augen trocken und mitleidslos. »Ich bin vierunddreißig, und ich habe ihn mit jeder Faser meines Körpers gehaßt, so lange ich zurückdenken kann. Und jetzt klebt es an mir. Er hat gewonnen, nicht wahr? Er hat sich nie verändert, ist uns nie auch nur einen Zentimeter entgegengekommen. Er war ein solches Arschloch. Ich hätte Lust, diese Glastür zu zerschmettern. Ich weiß nicht einmal, warum es mich interessiert, wie er gestorben ist. Ich sollte erleichtert sein, aber ich bin verärgert. Die Ironie daran ist, daß er mein Leben wahrscheinlich immer noch beherrscht.«
    »Wie das?«
    »Sehen Sie doch, was er bereits aus mir gemacht hat. Ich denke an ihn, sobald ich überhaupt denke. Ich denke an ihn, wenn ich mich entscheide, nichts zu trinken. Wenn ich nur einen Mann kennenlerne, der trinkt, oder wenn ich einen Penner auf der Straße sehe oder Bourbon rieche und wenn ich mit jemandem zusammen bin, der zuviel getrunken hat, dann halte ich es nicht aus. Seine Entschuldigungen und sein falscher Charme, seine Heulerei, wenn der Alkohol dann seine Wirkung bei ihm tat. Die Zeiten, wo er stürzte, wo er ins Gefängnis kam, wo er jeden Pfennig ausgab, den wir hatten. Als ich zwölf war, fand Mutter ihre Religion, und ich weiß nicht, was schlimmer war. Daddy wachte jedenfalls an den meisten Tagen auf und war ganz in Ordnung. Sie hatte Jesus zum Frühstück, Mittagessen und Abendessen. Es war grotesk. Und dann kam noch die Freude dazu, ein Einzelkind zu sein.«
    Sie brach abrupt ab und schien sich zu schütteln. »Ach zum Teufel. Was macht das schon für einen Unterschied? Ich weiß, ich klinge nach Selbstmitleid, aber es war so schrecklich, und ein Ende ist nicht abzusehen.«
    »Ehrlich gesagt sieht es so aus, als hätten Sie sich ganz gut gehalten«, bemerkte ich.
    Sie wandte ihren Blick wieder dem Parkplatz zu, und ich konnte ihr schwaches, bitteres Lächeln sehen, das sich im Glas spiegelte. »Sie kennen doch sicher den Spruch, daß die beste Rache darin besteht, gut zu leben. Ich habe es geschafft, weil es die einzige Verteidigung war, die ich hatte. Flucht war die motivierende Kraft in meinem Leben. Fort von ihm, fort von ihr, das Haus hinter mir lassen. Das komische ist, daß ich keinen Zentimeter weiter gekommen bin, und je mehr ich renne, desto schneller gleite ich zu ihnen zurück. Es gibt Spinnen, die so arbeiten. Sie begraben sich selbst und schaffen eine kleine Tasche aus losem Sand. Wenn dann ihre Beute vorüberkommt, gibt der Boden nach, und das Opfer rutscht in die Falle. Es gibt Gesetze für alles, nur nicht für den Schaden, den Familien anrichten.«
    Sie drehte sich um, schob die Hände in die Taschen ihres Regenmantels. Mit dem Hinterteil stieß sie die Tür auf, kalte Luft strömte herein. »Was ist mit Ihnen? Gehen Sie auch? Oder bleiben Sie noch?«
    »Ich schätze, ich fahre noch im Büro vorbei, wenn ich schon mal draußen bin«, meinte ich.
    Sie drückte auf einen Knopf am Griff ihres Schirmes, und mit einem gedämpften Klack sprang er auf. Sie hielt ihn für mich, und zusammen gingen wir zu meinem Wagen. Die Regentropfen, die auf den Schirmstoff fielen, klangen erstickt wie Popcorn in
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