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Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Titel: Kinsey Millhone 04 - Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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oder?«
    Totenstille.
    Ich senkte die Stimme. »Wollen Sie mir nicht erzählen, wer Doug Polokowski ist?«
    Billy Polo drehte sich um und ging davon. Ich blieb noch kurz stehen und folgte ihm dann zögernd, grübelte noch immer darüber nach, woher er meine Privatadresse hatte. Als ich das letzte Mal mit ihm gesprochen hatte, hatte er mir nicht einmal geglaubt, daß ich Privatdetektiv war. Jetzt suchte er mich plötzlich auf, um vertraulich mit mir über Daggett zu plaudern. Das paßte nicht zusammen.
    Ich hörte seine Autotür zufallen, als ich die Straße erreichte. Ich hielt mich im Schatten, sah zu, wie sein Chevrolet aus einem Parkplatz vier Häuser weiter ausscherte. Er gab Gas, raste auf den Strand zu. Ich überlegte, ob ich ihm folgen sollte, aber ich konnte den Gedanken nicht ertragen, wieder vor Corals Wohnwagen herumzulungern. Davon hatte ich genug. Ich machte kehrt und ging in meine Wohnung. Ich dachte immer wieder darüber nach, daß mein Wagen aufgebrochen worden war, man mir die Handtasche gestohlen hatte, mit meinen ganzen persönlichen Unterlagen. Hatte Billy Polo das getan? War er so an meine Privatadresse gekommen? Ich konnte mir nicht denken, wie er mich am Strand gefunden hatte, aber das würde zumindest erklären, woher er wußte, wie er mich jetzt finden konnte.
    Ich war sicher, daß er eine Taktik verfolgte, aber ich konnte mir nicht denken, was er wollte. Warum diese Geschichte von Daggett und den bösen Buben aus dem Gefängnis? Es paßte zwar zu ein paar Tatsachen, aber der angenehme unordentliche Beiklang der Wahrheit fehlte.
    Ich zog einen Stapel Karteikarten heraus und schrieb trotzdem alles auf. Vielleicht würde es später einen Sinn ergeben, wenn andere Informationen ans Licht kamen. Es war zehn Uhr, als ich fertig war. Ich holte den Weißwein aus dem Kühlschrank und schenkte mir ein Glas ein. Dann zog ich mich aus, drehte das Licht ab und trug den Wein ins Badezimmer, wo ich das Glas aufs Fensterbrett über der Badewanne stellte und auf die dunkle Straße hinausstarrte. Da draußen gibt es eine Straßenlampe, die in den Zweigen eines Jacaranda-Baumes begraben ist, der jetzt vom Regen fast kahl war. Das Fenster stand halb offen, und ein feuchter Nachtwind drang herein, kühl und verstohlen. Ich konnte hören, wie Regen auf mein Dach prasselte. Ich war unruhig. Als ich ein kleines Mädchen war, vielleicht zwölf oder so, wanderte ich in Nächten wie dieser durch die Straßen, barfuß, im Regenmantel, und es gab mir ein seltsames, fremdartiges Gefühl. Ich glaube nicht, daß meine Tante etwas von meinen nächtlichen Ausflügen wußte, aber vielleicht tat sie es doch. Sie hatte selbst einen rastlosen Zug an sich und hat meinen deshalb vielleicht respektiert. Ich dachte in letzter Zeit viel an sie, vielleicht wegen Tony. Seine Familie war bei einem Autounfall ausgelöscht worden, genau wie meine, und er wurde jetzt von einer Tante aufgezogen. Manchmal mußte ich mir eingestehen — vor allem in Nächten wie dieser — , daß der Tod meiner Eltern vielleicht nicht so tragisch gewesen war, wie es den Anschein gehabt hatte. Meine Tante war, trotz all ihrer Fehler, der perfekte Vormund für mich gewesen — tapfer, exzentrisch, unabhängig. Hätten meine Eltern gelebt, hätte mein Leben einen ganz anderen Verlauf genommen. Darüber gab es für mich keinen Zweifel. Meine Geschichte, so, wie sie ist, gefällt mir, aber es gab da auch noch etwas anderes.
    Wenn ich über den Abend nachdachte, begriff ich, wie sehr ich mich mit Tony identifiziert hatte, als er mein Wagenfenster herausschlug. Seine Wut, sein Trotz wirkten hypnotisch und weckten Gefühle tief in meinem Innern. Daggett sollte am kommenden Nachmittag beerdigt werden, und das wühlte etwas anderes auf... alte Trauer, gute Freunde, die bereits unter der Erde waren. Manchmal stelle ich mir den Tod wie eine breite Steintreppe vor, mit einer stummen Prozession all jener, die fortgeführt werden. Ich werde zu oft mit dem Tod konfrontiert, um große Angst davor zu haben, aber ich vermisse die Toten und frage mich, ob ich ruhig sein werde, wenn die Reihe an mich kommt.
    Ich trank meinen Wein aus und ging zu Bett, glitt nackt zwischen die warmen Falten meiner Steppdecke.

16

    Die Morgendämmerung kam mit Nieselregen, der dunkelgraue Himmel färbte sich allmählich zu kaltem weißem Licht. Normalerweise laufe ich nicht bei Regen, aber ich hatte nicht gut geschlafen, und ich mußte diese bohrende Angst loswerden. Ich wußte nicht einmal,

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