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Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Titel: Kinsey Millhone 04 - Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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ausgebeulte Hosen. Er hatte einen normalen Arm und einen, der am Ellbogen endete. Ich wollte mich vorstellen, ihm die Hand schütteln, aber der Stumpf befand sich auf der rechten Seite, und ich hatte nicht die Nerven. So zog ich statt dessen eine Visitenkarte hervor und reichte sie ihm.
    »Wäre es wohl möglich, daß ich mit einem der Männer hier spreche?«
    Er legte die fleischige Stirn in Falten. »Worum geht es?«
    »Ich glaube, er hat ein paar Gegenstände aus einem Abfallkorb am Strand an sich genommen, die ich suche. Ich möchte wissen, ob er sie noch immer in seinem Karren hat. Es dauert nur eine Minute.«
    »Sehen Sie ihn hier?«
    Ich deutete auf den Mann, der mich interessierte.
    »Sie werden mit beiden reden müssen«, sagte der Mann. »Delphi ist der Knabe, der Sie interessiert, aber er spricht nicht. Sein Kumpel übernimmt das. Er heißt Clare. Ich bringe sie her, wenn Sie da draußen im Korridor warten. Sie haben ihre Einkaufswagen hinten im Hof. Ich wäre vorsichtig, was die Karren betrifft. Wenn’s um ihre Karren geht, haben sie manchmal mächtigen Besitzerstolz.«
    Ich dankte ihm und ging zurück, stand dann im Eingang, bis Delphi und Clare auf tauchten. Delphi hatte ein paar seiner Mäntel abgelegt, aber er trug noch immer die dunkle Kappe, und seine Haut wies denselben rötlichen Ton auf. Sein Freund Clare war groß und schlank, mit einer auffallend roten Zunge, die durch die Lücke seiner fehlenden Schneidezähne nach draußen kroch. Sein Haar war silbrigweiß, ziemlich spärlich, seine Arme lang und dünn, die Hände riesig. Delphi mied jeglichen Blickkontakt, aber Clare erwies sich als ein Mann mit Charme, der vielleicht noch aus den Tagen übriggeblieben war, als er noch nicht getrunken hatte.
    Ich erklärte, wer ich war und was ich suchte. Ich sah, wie Delphi Clare mit diesem Ausdruck von Unterwürfigkeit anschaute, wie ein Hund, der daran gewöhnt ist, geschlagen zu werden. Clare war vielleicht das einzige menschliche Wesen auf der Welt, das ihn nicht erschreckte oder mißhandelte, und Clare mußte offensichtlich Situationen dieser Art für ihn bewältigen.
    »Tja. Ich kenne die Sachen. Hohe Schuhe, schwarzes Wildleder. Grüner Wollrock. Delphi hier hat sich gefreut. Sonst findet man in dem Korb immer nur schäbigstes Zeug. Aluminiumdosen sind so ungefähr das Beste, auf was man da hoffen kann. Aber er hat wohl mal Glück gehabt, schätze ich.«
    »Besitzt er die Dinge noch?«
    Die Zunge kroch heraus, als verfügte sie über ein eigenes Leben, so rot, daß es aussah, als hätte Clare Himbeerbonbons gelutscht. »Ich kann fragen«, meinte er.
    »Würden Sie das bitte tun?«
    Clare wandte sich an Delphi. »Was meinst du, Delph? Sollen wir diesem kleinen Mädchen geben, was es sich wünscht? Es liegt an dir.«
    Delphi gab kein Zeichen dafür, daß er etwas gehört, aufgenommen oder ihm zugestimmt hatte. Clare wartete geraume Zeit.
    »Also, das ist hart«, wandte sich Clare an mich. »Es war sein bester Tag, und er sagt, der grüne Rock würde ihm gefallen.«
    »Ich könnte ihn entschädigen«, versuchte ich es. Ich wollte diese Knaben nicht beleidigen.
    Die rote Zunge kam heraus wie ein schüchternes Tier, das aus seiner Höhle späht. Delphis Gehör schien besser zu werden. Er bewegte sich ein wenig. Ich überließ es Clare, diese Bewegung in Dollar und Cent zu übersetzen.
    »Ein Zwanziger könnte es decken«, meinte Clare schließlich.
    Ich hatte nur zwanzig Dollar bei mir, aber ich holte sie aus dem Reißverschlußfach in meiner schwarzen Handtasche. Ich bot Delphi den Schein an. Clare mischte sich ein. »Behalten Sie den, bis wir unser Geschäft getätigt haben. Lassen Sie uns nach draußen gehen.«
    Ich folgte ihnen durch einen kurzen Flur zu einem Hinterausgang, der auf einen kleinen Innenhof führte, den an drei Seiten ein Zaun umgab. Irgend jemand hatte das Gelände »gestaltet«, indem er immergrüne Pflanzen in Kaffeedosen oder Großhandelscontainer gepflanzt hatte, die einst grüne Bohnen und Apfelmus enthalten hatten. Delphi stand daneben und sah ängstlich zu, während Clare einen der Einkaufswagen durchwühlte. Er schien genau zu wissen, wo sich die Schuhe und der Rock befanden, und zog sie innerhalb kürzester Zeit heraus. Er reichte sie mir, und ich händigte ihm die zwanzig Dollar aus. Irgendwie kam es mir vor wie ein illegaler Drogenhandel, und ich hatte Visionen davon, wie sie einen Krug Mad Dog 20-20 kauften, sobald ich gegangen war. Clare hielt den Schein hoch, damit

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