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Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Titel: Kinsey Millhone 04 - Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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kurz ausschüttelte.
    Das Crow’s Nest war in einem halbherzigen Marinestil eingerichtet, der sich hauptsächlich zusammensetzte aus Fischernetzen und Tauen, die man über die Dachsparren drapiert hatte, und Seekarten, die unter einem halben Zoll Polyurethan in die Tischplatten eingelassen waren. Der Restaurantteil war geschlossen, aber die Bar schien noch offen. Ich sah, daß etwa zehn Tische besetzt waren. Die Unterhaltung war gedämpft, die Beleuchtung diskret, unterstützt von dicken, runden Krügen, in denen durch orangefarbenes Glas Kerzen schimmerten. Jonah steuerte uns an einer kleinen Tanzfläche vorbei auf einen Tisch in der Ecke zu. Der Ort strahlte nervöse Erregung aus. Wir wurden vom Wetter geschützt, zusammengebracht wie verlorene Seelen, die zwischen zwei Flügeln am Flughafen gestrandet sind.
    Die Kellnerin erschien, und Jonah sah mich an.
    »Entscheide du«, sagte ich.
    »Zwei Margaritas. Cuervo Gold, Grand Marnier, kein Salz«, sagte er. Sie nickte und entfernte sich.
    »Sehr eindrucksvoll«, bemerkte ich.
    »Ich dachte, das könnte dir gefallen. Was treibt dich raus?«
    »Daggett natürlich.« Ich weihte ihn ein, und dabei wurde mir klar, daß ich von Billy Polo und Konsorten wirklich genug hatte für diesen Tag.
    »Laß uns nicht über ihn sprechen«, bat ich, als ich fertig war. »Erzähl mir, woran du arbeitest.«
    »Kommt nicht in Frage. Ich bin zum Entspannen hier.«
    Die Kellnerin brachte unsere Drinks, und wir machten eine Pause, während sie sich vorsichtig, mit geschlossenen Knien, bückte und vor jeden von uns eine Cocktailserviette legte und dazu unsere Drinks stellte. Sie war wie ein Bootsmann gekleidet, bloß daß ihre kurze weiße Hose aus Lastex bestand und ihre Gesäßbacken hinten heraushingen. Ich fragte mich, wie lange derartige Uniformen sich wohl halten würden, wenn man vom Nachtmanager verlangte, seinen haarigen Hintern in eine zu quetschen.
    Nachdem die Kellnerin gegangen war, stieß Jonah mit mir an. »Auf regnerische Abende«, sagte er. Wir tranken. Der Tequila lief mir heiß die Kehle herunter, und ich mußte mir auf die Brust schlagen. Jonah lächelte und genoß mein Unbehagen.
    »Was treibt dich so spät auf die Straße?« erkundigte ich mich.
    »Ich hatte noch Sachen aufzuarbeiten. Außerdem meide ich die Wohnung. Camillas Schwester ist für eine Woche aus Idaho gekommen. Die beiden trinken wahrscheinlich Wein und ziehen über mich her.«
    »Daraus schließe ich, daß ihre Schwester dich nicht mag.«
    »Sie hält mich für eine Niete. Camilla hatte Geld früher. Deirdre findet, daß keine von ihnen sich mit Knaben einlassen sollte, die Gehalt beziehen. Und noch dazu ein Cop? Das ist zu kleinbürgerlich. Herrje, ich muß aufpassen. Ich beklage mich ja nur noch über mein Leben daheim. Ich höre mich schon fast an wie Dempsey.«
    Ich lächelte. Lieutenant Dempsey hatte jahrelang im Drogendezernat gearbeitet. Ein unglücklich verheirateter Mann, der seine Tage damit zubrachte, sein Schicksal zu beklagen. Schließlich war seine Frau gestorben, und er hatte sich umgedreht und eine andere geheiratet, die genauso war wie sie. Er war vorzeitig in Rente gegangen, und die beiden waren in einem Wohnmobil davongebraust. Seine Postkarten ans Dezernat waren amüsant, erweckten in den Leuten aber doch ungute Gefühle, wie ein Comic, in dem boshafte Witze auf Kosten eines Ehegatten gerissen werden.
    Die Unterhaltung schwand dahin. Die Musik im Hintergrund kam vom Band, alte Johnny Mathis Songs, deren Texte an eine Zeit denken ließen, als das Sichverlieben noch nicht durch Herpes, die Angst vor Aids, zahlreiche Ehen, Unterhaltszahlungen, Feminismus, sexuelle Revolution, die Bombe, die Pille, die Billigung des Therapeuten oder das Schreckgespenst von Kindern an jedem zweiten Wochenende erschwert wurde.
    Jonah sah gut aus. Die Kombination von Schatten und Kerzenlicht wusch die Falten aus seinem Gesicht und brachte das Blau seiner Augen zum Strahlen. Sein Haar sah sehr dunkel aus, und die Nässe ließ es seidiger erscheinen. Er trug ein weißes Hemd, am Hals offen, die Ärmel aufgekrempelt, auf seinen Unterarmen kräuselten sich dunkle Haare. Für gewöhnlich besteht da etwas zwischen uns, ein Strom, der wohl durch den primitiven Drang der menschlichen Rasse entsteht, sich fortzupflanzen. Meistens wird die körperliche Reaktion durch äußerste Vorsicht meinerseits unter Kontrolle gehalten, durch die Ambivalenz seinem Status als Ehemann gegenüber, durch die Umstände, sein eigenes

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