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Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Titel: Kinsey Millhone 04 - Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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für müde Käufer. Alles ist sauber, gepflegt und angenehm fürs Auge.
    Das Granger Building sieht genauso aus wie hundert andere, die in den zwanziger Jahren erbaut worden sind — gelbe Ziegel, symmetrische, schmale Fenster, von Granitfriesen gesäumt, über allem ein steiles, spitzes Dach mit passenden Giebeln. Der Stil ist eine Anomalität in dieser Stadt, fällt zwischen spanisch, viktorianisch und stillos. Dennoch ist das Gebäude ein Charakteristikum und beherbergt ein Kino, ein Juweliergeschäft und sieben Stockwerke mit Büroräumen.
    Auf dem Wandschild in der Marmorhalle suchte ich nach Wayne Smiths Suite-Nummer. Er hatte die Nummer 702. Es gab zwei Fahrstühle im Haus, von denen einer außer Betrieb war. Die Tür stand offen, der Mechanismus war deutlich zu sehen. Es ist nicht gut, solche Sachen genauer zu mustern. Wenn man sieht, wie ein Lift tatsächlich funktioniert, dann begreift man, wie unwahrscheinlich das ganze System ist — da wird ein ganzes Zimmer voller Menschen an ein paar langen Drähten nach oben und unten gezogen. Lächerlich.
    Ein Typ im Overall stand da und wischte sich das Gesicht mit einem Tuch ab.
    »Wie läuft’s?« fragte ich, während ich darauf wartete, daß die Türen des anderen Fahrstuhls sich öffneten.
    Er schüttelte den Kopf. »Irgendwas ist immer, nicht? Letzte Woche war es dieser, der nicht funktioniert hat.«
    Die Türen glitten auf, und ich trat ein, drückte auf die Sieben. Die Türen schlossen sich, und eine Weile passierte gar nichts. Schließlich trat der Aufzug mit einem Satz seinen Aufstieg an, hielt im siebten Stock. Es gab einen zweiten endlosen Aufenthalt. Ich drückte auf den »TÜR AUF«-Knopf. Nichts. Ich versuchte zu schätzen, wie lange ich überleben könnte, nur mit diesem einen, kleinen Stück Kaugummi unten aus der Tasche. Mit der flachen Hand hämmerte ich auf den Knopf, und die Türen glitten auf.
    Der Gang war schmal und schwach erleuchtet, da es nur ein Fenster nach draußen gab, das sich am anderen Ende des Ganges befand. Vier dunkle, holzgetäfelte Türen gingen auf jeder Seite ab. Die Namen der Mieter waren in Goldbuchstaben darauf angebracht, die aussahen, als befänden sie sich dort, seit es das Gebäude gab. Ich konnte nirgendwo Aktivitäten ausmachen, keinen Laut, kein gedämpftes Telefonklingeln. Wayne Smith, C. P. A. stand auf der ersten Tür rechts. Ich stellte mir eine Empfangsdame in einem kleinen Warteraum vor und drehte deshalb einfach den Griff, trat ein, ohne zu klopfen. Es gab nur einen großen Raum. Dämmriges Tageslicht fiel durch herabgezogene Jalousien ins Zimmer. Wayne Smith lag auf dem Boden, die Beine auf den Sitz seines Drehstuhls gelegt. Er drehte sich um und starrte mich an.
    »Oh, Verzeihung! Ich dachte, es würde ein Wartezimmer geben«, sagte ich. »Ist alles in Ordnung?«
    »Klar. Kommen Sie rein«, antwortete er. »Ich habe meinen Rücken ausgeruht.« Er zog die Beine vom Stuhl, augenscheinlich unter Schmerzen. Dann rollte er auf eine Seite und stemmte sich in eine sitzende Position, wobei er zusammenzuckte. »Sie sind Kinsey Millhone. Marilyn hat Sie mir gestern bei der Beerdigung gezeigt.«
    Ich beobachtete ihn, fragte mich, ob ich ihm helfen sollte. »Was haben Sie denn gemacht?«
    »Mein Rücken hat mich im Stich gelassen. Tut verdammt weh«, beklagte er sich. Nachdem er endlich auf den Füßen stand, grub er eine Faust ins Gesäß, drehte leicht eine Schulter, als wollte er einen Krampf vertreiben. Er hatte die Gestalt eines Läufers — schmal, sehnige Muskeln. Er sah älter aus als seine Frau, vielleicht Ende Vierzig, während ich sie Anfang Dreißig schätzte. Sein Haar war hell, kurzgeschnitten wie eine Frisur aus einem Jahrbuch aus den fünfziger Jahren. Ich fragte mich, ob er irgendwann beim Militär gewesen war. Seine Frisur legte nahe, daß er an der Vergangenheit hing, vielleicht von einem bedeutenden Ereignis dort gefangengehalten wurde. Seine Augen waren hell, sein Gesicht hatte zahllose Falten. Er trat ans Fenster und schob alle drei Jalousien hoch. Im Zimmer wurde es unerträglich hell.
    »Setzen Sie sich«, forderte er mich auf.
    Ich hatte die Wahl zwischen einer Schlafcouch und einem gegossenen Plastikstuhl. Ich entschied mich für den Stuhl, sah mich schnell um, während er sich auf seinen Drehstuhl niederließ wie in ein dampfendes Sitzbad. Er besaß sechs Metallbücherregale, die ein wenig zur Seite hingen durch das Gewicht all der Handbücher. Überall stapelten sich braune Akten, seine

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