Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Titel: Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
weggedöst war.
    Zu Hause musste Luis ihm die Treppe hinaufhelfen. Ich ging voraus, und der Hund bildete das Schlusslicht. Raymond war wach, schien aber groggy und daneben. Oben schloss Luis auf. Einen Moment lang fiel das Treppenhauslicht auf Raymonds nackten Rücken, und ich sah, dass seine Haut kreuz und quer mit Narben bedeckt war, wie ein weißes Rautenmuster. Die Schnitte waren verheilt, aber nie wieder ganz verschwunden. Die gleichmäßige Anordnung deutete darauf hin, dass da jemand überaus methodisch ans Werk gegangen war.
    Drinnen sah ich mich suchend im Wohnzimmer um. Ich hielt Ausschau nach der Handtasche, die ich vorhin hier zurückgelassen hatte. Ich entdeckte sie schließlich auf dem Fußboden, halb unter einem Sessel. Jemand musste sie im Eifer des Gefechts weggekickt haben. Sie stand offen. Luis hielt jetzt Raymonds Pistole in der Hand und dirigierte mich zum Sofa. Ich setzte mich hin. Von hier aus war der Griff der SIG-Sauer in der Tasche deutlich zu erkennen. Ich zwang mich, nicht hinzusehen. Ich wagte nicht, mich nach der Tasche zu bücken, weil ich Angst hatte, Luis’ Blick auf sie zu lenken. Raymond schwankte ins Schlafzimmer.
    Ich musste in dieser Nacht auf dem Sofa schlafen. Perro passte auf die Wohnungstür auf, während Luis mit Raymonds Pistole in der Hand im Sessel döste und mich bewachte. Die nackte Glühbirne in der Küche glomm schwach wie ein Nachtlicht. Hin und wieder starrten wir uns durch das schummrige Zimmer an, und Luis’ Augen verrieten keinerlei Gefühl — so wie der Blick eines Liebhabers, der sich für eine andere entschieden hat. Der Blick, wenn alle gemeinsamen Augenblicke unter einer dicken Schicht von Feindseligkeit und Gleichgültigkeit begraben sind.
    Um acht wurde ich von lautem Bummern an der Tür aus dem Schlaf gerissen. Perro begann grimmig zu bellen. Ich erhob mich vom Sofa und tappte mechanisch zur Tür. Aber Luis kam mir zuvor. Er packte den Hund am Halsband und machte auf. Draußen stand Dawna in einem affenscharfen schwarzen Kostüm. Na prächtig. Von wegen keine Gedanken machen! Verstanden sie das unter »aus dem Verkehr ziehen«? Raymond kam aus dem großen Schlafzimmer, gerade dabei, sich ein Hemd anzuziehen. Er war barfuß und immer noch in den zerknitterten Hosen von gestern. »Was ist los?«, fragte er.
    »Dawna ist da«, sagte Luis.
    Als Raymond zur Tür ging, beugte ich mich rasch über den Polstersessel, um meine Handtasche hervorzuziehen und die Klappe über dem Pistolengriff zu schließen.
    Luis hatte sich umgedreht. »Hinsetzen.«
    »Ich sitz’ ja schon«, sagte ich kiebig. Ich hockte mich in den Sessel und spielte die Gelangweilte, während Raymond und Dawna ein paar Begrüßungsworte murmelten. Bei seinem Anblick hatte ihr Gesicht zu beben begonnen. Raymond schloss sie in die Arme und wiegte sie leise. Was, wenn sie mich entdeckte? Mein einziger Trost war meine Handtasche, die jetzt unter meinen Fingerspitzen neben mir im Sessel lag. Luis war in die Küche gegangen, wo er an der Arbeitsplatte lehnte und versunken einen Joint drehte. Eine nette kleine Dröhnung am Sonntagmorgen. Das war genau das, was wir alle brauchten. Dawna setzte sich aufs Sofa und weinte in Raymonds Taschentuch.
    Ihr Gesicht war so weiß wie das einer Figur im Kabuki-Theater, ihr Mund eine knallrote Heulschnute. Ihre Haare waren frisch gebleicht und hatten etwa die Farbe von Schreibmaschinenpapier. Sie standen in Stacheln hoch, als hätte jemand lauter einzelne Büschel genommen und mit der Nagelschere abgeschnitten. Sie sah aus wie ein Albino-Hahn. Ihre Kostümjacke klaffte leicht auseinander, und ich erspähte darunter einen dicken Gaze-Verband, der mit Heftpflaster befestigt war. Sie sah nicht gerade gesund aus, und ich dachte, dass die Verletzung ihr offenbar doch ziemlich zugesetzt hatte. Perro lag neben der Couch und starrte auf den saftigen Teil von Dawnas Bein. Ich musterte sie mit einer Mischung aus gespannter Erwartung und nackter Angst. Sobald sie sich wieder gefasst hatte, würde sie mich zwangsläufig bemerken. Es war ziemlich wahrscheinlich, dass sie mich wiedererkennen würde, aber was sollte ich machen?

22

    Das Schwierigste beim Lügen ist, sich vorzustellen, wie man sich verhalten würde, wenn man ein reines Gewissen hätte. Ich konnte nicht so tun, als hätte ich Dawna Maldonado noch nie gesehen. Wir waren beide Dienstagnacht dabei gewesen, als Chago erschossen wurde. Wie sollte ich sie behandeln? Unter den gegebenen Umständen erschien es mir am

Weitere Kostenlose Bücher