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Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Titel: Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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einfallen, wahrscheinlich dann, wenn ich gerade mit etwas ganz anderem beschäftigt war.
    Ich ging an den Schrank, schob die Tür auf und lüpfte den Rand der dunkelblauen Plüsch-Auslegware ein klein wenig an. Ich steckte die Fotos darunter und drückte den Teppich wieder glatt.
    Dann marschierte ich zurück ins Wohnzimmer, wo Bibianna noch immer über ihrer Patience brütete. Ich ließ mich im Sessel nieder, schlug die Beine unter und sah ihr zu, wobei ich ein diskretes Auge auf die Jung-Gangster hielt, die sich in einer Art Reihe vor der Küche aufgestellt hatten. Es musste wohl Zahltag sein. Raymond saß am Tisch, nahm kleine Zettel entgegen und blätterte im Tausch dafür Geldscheine hin. Er war ganz geschäftsmäßig und wickelte die Transaktionen auf Spanisch ab. Ich versuchte, mir möglichst unauffällig die Gesichter einzuprägen, und fragte mich, ob ich sie wohl gegebenenfalls in der Verbrecherkartei wiedererkennen würde. Die beiden einzigen, die ich kannte, waren Raymonds Bruder Juan und der mürrische Tomas, der sich am Tag meiner Ankunft so mit seiner Schreibarbeit gequält hatte. Raymond sah zu mir herüber, und ich senkte rasch die Augen auf die Karten vor mir.
    Ich hatte Bibianna inzwischen so oft beim Patiencelegen zugeschaut, dass ich es mir schon fast selbst zutraute. Diesmal war es nicht das übliche Rote-Dame-auf-schwarzen-König-Prinzip. Es ging um Folgen gleicher Farbe, sodass man im Idealfall am Ende nur noch vier Häufchen hatte, für jede Farbe eins, mit allen Karten vom Ass bis zum König in der richtigen Reihenfolge. Sie blätterte die Karten, die sie auf der Hand hatte, methodisch durch, aber nichts passte. Sie warf ihr Blatt hin und schob alle Karten zu einem Häufchen zusammen.
    »Hast du jetzt vielleicht Lust, mir mein Horoskop zu stellen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Die Sachen sind alle bei meiner Mutter, und Raymond lässt mich nicht mit ihr telefonieren. Ich hab’ es gestern Abend versucht, aber er hat mich mit dem Telefon erwischt und fast totgeprügelt. Dieser Arsch...« Sie sah zu Raymond hinüber, der seine Tätigkeit unterbrochen hatte, um sie anzustarren. Bibianna rutschte nervös hin und her und sah mich an. Dann sagte sie: »Aber ich kann dir aus der Hand lesen. Leg die Hände auf den Tisch.«
    »Mit den Handflächen nach unten?«
    »Ja. Einfach auf die Platte legen.«
    Ich setzte mich richtig hin und beugte mich so weit vor, dass ich meine Hände weisungsgemäß flach auf den Tisch legen konnte. Raymond musste inzwischen gemerkt haben, dass sie auf ihrem Handlesetrip war, denn er wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Bibiannas Blick wurde konzentriert. Sie musterte meine Handrücken, hob dann meine beiden Hände an und drehte sie um. Sie nahm meine rechte Hand in ihre und untersuchte sie sorgfältig und wortlos. Sie ging so professionell zu Werk wie eine Ärztin. Ich glaube nicht an Handlesen, so wenig wie an Numerologie, Astrologie, den Osterhasen oder den Klapperstorch, aber irgendetwas in ihrem Gesicht weckte meine Neugier. »Was ist?«, fragte ich.
    Sie fuhr mit dem Zeigefinger über meine rechte Handfläche und nahm sich dann noch einmal die linke vor. »Du stehst auf Action. Willst du wissen, woran ich das sehe? Wie du eben die Hände auf den Tisch gelegt hast, war dazwischen noch eine ganze Masse Platz. Unsichere Menschen legen ihre Hände ganz dicht zusammen. Kurze Nägel, spricht für Aggressivität. Keine Rillen, keine Flecken. Das ist gut. Zeigt, dass du gesund bist. Der Hauttyp ist mittel, sagt nicht viel, aber guck mal hier... wie weit du den Daumen von den Fingern abspreizen kannst. Heißt, dass du eigenständig denkst...«
    Ihre Stimme war hypnotisch, und ich fand mich dabei wieder, wie ich ihr ernsthaft zuhörte. Ich hatte irgendein Geschwafel über Lebenslinien und Liebeslinien erwartet, aber so weit kam sie gar nicht. Es ging so plötzlich los, dass ich bis heute nicht weiß, wer angefangen hatte. Ich hörte ein Brüllen und das Scheppern eines umkippenden Stuhls. Als ich auf sah, hatte Raymond Tomas schon am Boden. Er umkrallte seine Kehle und hielt ihm das Schnappmesser an die Backe. Raymonds Gesicht war wutverzerrt. Seine Hände zitterten, während er Tomas’ Gurgel zusammenpresste. Tomas versuchte röchelnd und aus weit aufgerissenen Augen stierend, sich seinem Klammergriff zu entwinden. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Ich sah die Messerklinge in seine Backe einsinken. Blut quoll hervor. Raymond starrte es an wie hypnotisiert. Niemand

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