Kinsey Millhone 07 - Hoher Einsatz - G wie Galgenfrist
auf dem Topf? Er rappelte sich irgendwie auf und hüpfte mit in Kniehöhe baumelnder Hose ins Bad.«
»Vera, wenn ich jetzt lache, mach ich mir in die Hose.« Ich tätschelte sie kurz, verschwand dann in der nächsten Kabine und erleichterte mich, während ich durch die Tür mit ihr sprach. »Was ist mit dem Mädchen passiert? Sie muss doch entsetzlich verlegen gewesen sein! Ihr Arzt mit aus der Hose hängendem Pimmel! Du meine Güte!«
»Sie schoss hinaus wie von Furien gehetzt, und er machte mir den Heiratsantrag. Er schrie mich an, das sei alles nur meine Schuld. Er sagte, wenn ich ihn heirate, könnten wir uns auf dem Boden wälzen, ohne gestört zu werden...«
»Da hat er gar nicht so Unrecht«, sagte ich.
»Glaubst du das wirklich?«
Ich drückte auf den Knopf der Spülung und verließ die Kabine. »Vera, tu mir bitte einen Gefallen. Heirate den Typen einfach. Er ist ein Schatz. Du wirst in alle Ewigkeit irre glücklich sein. Das verspreche ich dir.« Ich wusch mir die Hände, trocknete sie und griff nach meiner Umhängetasche. »Dietz wartet auf mich. Ich muss gehen, sonst denkt er, man hat mich entführt. Ich möchte Brautjungfer sein, aber Altrosa steht mir nicht. Gib mir Bescheid, sobald du das Datum weißt.« Als ich hinausging, sah sie wie betäubt hinter mir her.
Als ich an der California Fidelity vorbeikam, erblickte ich Darcy vor dem Aktenschrank hinter dem Schreibtisch der Empfangsdame. Sie rührte sich kaum, konzentrierte sich anscheinend ausschließlich darauf, ihre fiebrige Stirn an dem kalten Metallschrank zu kühlen. Ich machte einen Umweg durch ihr Büro. Sie schaffte es, die Augen zu heben, ohne den Kopf zu bewegen. »Hat Vera Sie fertig gemacht?«
»Wir haben uns bestens vertragen. Sie wird heiraten. Sie können bei der Hochzeit Blumen streuen. Ich muss wissen, was Sie gemeint haben, als ich erwähnte, dass Agnes gestorben ist. Sie sagten, es sei unheimlich. Was war umheimlich?«
»Oh, das hat sich nicht auf ihren Tod bezogen«, antwortete Darcy. »Es ist der Titel eines Buches.«
»Eines Buches?«
» Agnes Grey. Das ist ein Roman von Anne Bronte. Geschrieben wurde er 1847. Ich weiß es zufällig, weil er das Thema meiner Prüfungsarbeit an der UNLV war.«
»Sie waren an der Universität von Las Vegas?«
»Warum denn nicht? Ich bin dort aufgewachsen und habe Literatur studiert. Es war übrigens die einzige Arbeit, für die ich die höchste Punktzahl bekam.«
»Ich dachte, sie heißt Charlotte Bronte?«
»Anne ist die jüngste Schwester. Die meisten Leute kennen nur die beiden älteren — Charlotte und Emily.«
Ein Frösteln überrieselte mich. »Emily...«
»Sie hat Sturmhöhe geschrieben.«
»Stimmt«, sagte ich schwach. Darcy fuhr fort, fachkundig über die Brontes zu reden. Ich rief mir inzwischen die verworrene Geschichte in Erinnerung, die Agnes mir über Emilys Tod und die unglückliche »Lottie« erzählt hatte, die zu einfältig gewesen war, um zu wissen, wie man zur Hintertür hinaus und wieder ins Haus kam. Hatte sie in Wirklichkeit Charlotte geheißen? War es möglich, dass Agnes Greys richtiger Name Anne Sowieso lautete, oder war alles nur Zufall? Ich ging zurück in den Flur.
»Kinsey?« Darcy war verblüfft, doch ich wollte mich nicht damit aufhalten, ihr zu erklären, was vorging. Ich verstand es selbst nicht.
Als ich in mein Büro kam, legte Dietz eben den Telefonhörer auf. »Hast du mit Rochelle gesprochen?«, fragte ich zerstreut.
»Alles paletti. Sie springt sofort in ihren Wagen und kommt her. Sie hat eine Freundin, die am Cabana Beach ein Motel leitet. Ocean View. Ich hab ihr gesagt, dass wir sie um vier Uhr dort treffen. Kennst du das Haus?«
»Ganz zufällig — ja.« Das Ocean View war die Kulisse einer für mich sehr aufschlussreichen Begegnung mit einem Exehemann namens Daniel Wade gewesen. Nicht mein bester Tag damals, aber irgendwie befreiend. Was hatte Agnes mir über Emily erzählt? Sie war bei einem Erdbeben ums Leben gekommen. Unten in Brawley oder woanders? Lottie war die Erste, die gehen musste. Dann stürzte der Kamin auf Emily. Da war noch etwas gewesen, aber ich erinnerte mich nicht mehr.
Dietz warf einen Blick auf seine Uhr. »Was machen wir, bis Rochelle kommt? Willst du nach Hause?«
»Lass mich einen Augenblick nachdenken.« Ich setzte mich in meinen Klientensessel und fuhr mir mit den Fingern durchs Haar. Dietz war vernünftig genug, den Mund zu halten und mich grübeln zu lassen. War Emilys Tod der Grund gewesen, warum Agnes
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