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Kinsey Millhone 08 - Sie kannte ihn fluechtig - F wie Faelschung

Kinsey Millhone 08 - Sie kannte ihn fluechtig - F wie Faelschung

Titel: Kinsey Millhone 08 - Sie kannte ihn fluechtig - F wie Faelschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Herztönen abgehört hatte, hatte Ann kurz und emotionslos geweint. Mittlerweile wirkte sie wie betäubt und beantwortete Quintanas Fragen ruhig und mit leiser Stimme. Ich hatte diese Reaktion schon unzählige Male erlebt, wenn der Tod so plötzlich gekommen war, dass kein unmittelbar Betroffener die Konsequenzen im vollen Umfang erfassen konnte. Später erst, wenn die Endgültigkeit des Ereignisses begriffen wird, kommt wütende und tränenreiche Trauer zum Ausbruch.
    Quintanas Blick schoss flüchtig in meine Richtung, als ich an der Tür vorbeiging. Ich war auf dem Weg in die Küche, von einer Polizeibeamtin begleitet, deren Dienstausrüstung ihren Taillen-Umfang sicher noch einmal um dreißig Zentimeter vergrößerte: schwerer Gürtel, Funkgerät, Schlagstock, Handschellen, Schlüssel, Taschenlampe, Munition, Pistole und Halfter. Ich fühlte mich unangenehm an meine Zeit in Uniform erinnert. Es ist schwer, ein Gefühl von Weiblichkeit zu bewahren in einer Hose, in der man wie ein Kamel von hinten aussieht.
    Ich nahm am Küchentisch Platz und setzte eine gelangweilte Miene auf, um zu verbergen, dass ich jeden Handgriff der Polizei am Tatort genau registrierte. Offen gestanden war ich in diesem Augenblick erleichtert, Ori nicht mehr ansehen zu müssen. Im Tod erinnerte sie mich an eine gestrandete alte Seelöwin. Bestimmt war sie noch nicht einmal erkaltet, aber ihre Haut hatte bereits den stumpfen, fleckigen Schimmer des Todes. Ein Körper, aus dem jedes Leben gewichen ist, scheint fast sichtbar zu verfallen. Das ist natürlich Einbildung; vielleicht dieselbe optische Täuschung wie der Eindruck, Tote würden noch atmen.
    Ann musste der Polizei gesagt haben, dass sie ihrer Mutter Insulin gespritzt hatte, denn ein Beamter von der Spurensicherung kam in die Küche, holte die Insulinampulle aus dem Kühlschrank und etikettierte und beschriftete sie sorgfältig. Vorausgesetzt, das Polizeilabor entsprach dem üblichen Standard einer Stadt dieser Größe, würden Insulin und sämtliche Blut- und Urin-Proben der Toten zusammen mit Mageninhalt, Galle und anderen Gewebeproben an das Zentrallabor in Sakramento geschickt. Als Todesursache kam meines Erachtens nur anaphylaktischer Schock in Frage. Die Frage war lediglich, was diesen ausgelöst hatte. Sicher nicht das Insulin, das Ori jahrelang bekommen hatte — es sei denn, jemand hatte sich an der Ampulle zu schaffen gemacht, was mir durchaus möglich erschien. Es konnte sich auch um einen Unfall handeln, aber das bezweifelte ich.
    Ich blickte zur Hintertür, wo der Riegel hochgeschoben war. Soweit ich wusste, waren Büro und Empfang des Motels nur selten verschlossen. Es war hier üblich, Fenster und Türen offen zu lassen. Ich dachte daran, wie viele Menschen sich in den letzten Tagen hier eingefunden hatten. Praktisch jeder konnte auch Zugang zum Kühlschrank gehabt haben. Oris Zuckerkrankheit war allgemein bekannt gewesen, und für den Mörder musste es ein leichtes Spiel gewesen sein. Dass Ann es war, die ihr die todbringende Flüssigkeit injiziert hatte, würde ihre Trauer noch durch Schuldgefühle verstärken. Eine teuflische Situation. Ich war neugierig, welchen Reim sich Detective Quintana darauf machen würde.
    Wie aufs Stichwort kam er in diesem Augenblick in die Küche und setzte sich an den Tisch mir gegenüber. Ich kann nicht gerade behaupten, dass ich mich auf einen Plausch mit ihm freute. Seine Gegenwart wirkte erdrückend. In seiner Nähe fühlte ich mich wie in einem überfüllten Aufzug, der zwischen zwei Stockwerken stecken geblieben war. Und das ist wahrlich kein Erlebnis, das man herbeisehnt.
    »Also hören wir uns mal Ihre Version der Geschichte an«, begann er.
    Ich muss zugeben, dass er diesmal einfühlsamer war als bei unserer ersten Begegnung; vielleicht aus Respekt gegenüber Ann. Ich legte mit aller mir möglichen Offenheit los. Schließlich hatte ich nichts zu verbergen und sah keinen Grund, Katz und Maus mit dem Mann zu spielen. Ich begann mit dem Drohanruf mitten in der Nacht und endete mit dem Moment, als ich Ann den Telefonhörer aus der Hand genommen und die Polizei verständigt hatte. Quintana machte sich sorgfältig Notizen in seiner schnellen, sauberen Handschrift, die aussah wie die Kursivschrift einer Schreibmaschine. Am Ende hatte er mit seiner Gründlichkeit und seinem Gespür für Details mein Vertrauen gewonnen. Er klappte sein Notizbuch zu und steckte es in die Jacketttasche.
    »Haben Sie Grund zu der Annahme, dass sie es getan

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