Kinsey Millhone 08 - Sie kannte ihn fluechtig - F wie Faelschung
unnötig vergeuden«, sagte ich. Der Schein der Lampe zeigte zur Decke, und meine Arme wurden müde. Ihre vermutlich auch. Ein Schrotgewehr wiegt einiges und ist nicht leicht ruhig zu halten... auch dann nicht, wenn man regelmäßig mit Hanteln trainiert.
»Bleiben Sie, wo Sie sind. Keine Bewegung.«
»Wow, genau das hat Elva auch gesagt.«
Ann knipste die Nachttischlampe an. Im Licht sah sie noch schlimmer aus. Sie hatte gemeine Züge. Mit dem fliehenden Kinn sah sie aus wie eine Ratte. Das Schrotgewehr in ihrer Hand war ein Zwölfkaliber, und sie schien genau Bescheid zu wissen, was man damit anrichten konnte.
Fast unbewusst registrierte ich ein schlurfendes Geräusch im Korridor. Royce. Wann war er heraufgekommen? »Ann? Annie, ich habe Fotos von deiner Mutter gefunden, die dir sicher gefallen. Kann ich reinkommen?«
Ihr Blick schoss zur Tür. »Ich komme gleich runter, Pop. Dann sehen wir sie uns an!«
Zu spät. Er hatte die Tür schon aufgestoßen. Royce hatte ein Fotoalbum unter dem Arm, und man sah ihm die Arglosigkeit an. Seine Augen waren sehr blau, die Wimpern spärlich und noch nass von den Tränen, die Nase war gerötet. Verschwunden waren die Schroffheit, die Arroganz und sein herrisches Wesen. Seine Krankheit hatte ihn gebrechlich und verwundbar gemacht, und Oris Tod hatte ihm wohl den Rest gegeben. Trotzdem war er hier heraufgekommen, ein alter Mann voller Hoffnungen. »Mrs. Maude und Mrs. Emma warten darauf, dass du ihnen gute Nacht sagst.«
»Ich bin noch beschäftigt. Kannst du das für mich erledigen?«
Dann erblickte Royce mich. Es musste ihm komisch Vorkommen, dass ich die Hände in die Luft hielt. Dann nahm er das Schrotgewehr wahr, das Ann in Schulterhöhe hielt. Ich dachte, er würde sich jeden Moment umdrehen und wieder hinausschlurfen. Doch er zögerte unsicher.
»Hallo, Royce«, begrüßte ich ihn. »Zweimal dürfen Sie raten, wer Jean Timberlake umgebracht hat.«
Er sah mich an und wandte dann den Blick ab. »Hm.« Seine Augen suchten Ann, als erwarte er jeden Moment, dass sie diese Beschuldigung weit von sich weisen würde. Ann stand auf und griff nach dem Türknauf hinter seinem Rücken.
»Geh wieder runter, Pop. Ich habe noch was zu erledigen. Dann komme ich.«
Er schien verwirrt zu sein. »Du tust ihr doch nicht weh?«
»Nein, natürlich nicht«, wehrte sie ab.
»Sie will mir damit nur den Hintern polieren!«, bemerkte ich.
Er blickte wieder fragend zu Ann hin.
»Was glauben Sie, hat sie mit der Flinte vor? Sie erschießt mich und behauptet dann, es wäre Notwehr gewesen. Das hat sie mir gesagt.«
»Pop, ich habe sie dabei erwischt, wie sie meinen Schrank durchsucht hat. Die Polizei ist hinter ihr her. Sie steckt mit Bailey unter einer Decke. Sie will ihm zur Flucht verhelfen.«
»Reden Sie kein Blech. Weshalb sollte ich das wohl tun?«
»Bailey?«, wiederholte Royce. Und zum ersten Mal war ein Aufleuchten von Verständnis in seinen Augen.
»Royce, ich habe Beweise für seine Unschuld. Ann hat Jean umgebracht...«
»Sie lügen!«, fuhr Ann dazwischen. »Ihr beide wollt Pop ausnehmen wie eine Weihnachtsgans!«
Es war nicht zu fassen. Ann und ich zankten uns wie Kinder, jede versuchte, Royce auf ihre Seite zu ziehen. »Du warst’s.«
»Nein, du.« — »Nein, du.«
Royce legte einen zitternden Finger an die Lippen. »Wenn sie Beweise hat, dann sollten wir uns anhören, was sie zu sagen hat«, sagte er beinahe wie zu sich selbst. »Meinst du nicht, Annie? Wenn sie beweisen kann, dass Bailey unschuldig ist?«
Ich sah, wie allein Baileys Name Ann in rasende Wut versetzte. Ich hatte Angst, sie würde schießen und sich mit ihrem Vater später auseinander setzen. Er schien denselben Gedanken zu haben. Er streckte die Hand nach der Flinte aus. »Gib sie mir, Kleines.«
Sie fuhr abrupt zurück. »Fass mich nicht an!«
Ich spürte, wie mein Herz klopfte, rasend vor Angst, er könne aufgeben. Doch Royce schien nur neue Kräfte zu sammeln.
»Was hast du vor, Ann? Das darfst du nicht tun.«
»Los, verschwinde! Geh runter!«
»Ich will hören, was Kinsey zu sagen hat.«
»Tu, was ich dir sage, und verschwinde!«
Er packte mit einer Hand den Lauf des Schrotgewehrs. »Gib es mir, bevor du damit Unheil anrichtest.«
»Nein!« Ann riss die Flinte an sich.
Royce schoss vorwärts und griff nach der Waffe. Die beiden kämpften um die Flinte. Ich starrte wie gelähmt auf die große, schwarze 8, die die beiden Mündungsöffnungen der Doppellaufflinte formten und die mal auf
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