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Kinsey Millhone 08 - Sie kannte ihn fluechtig - F wie Faelschung

Kinsey Millhone 08 - Sie kannte ihn fluechtig - F wie Faelschung

Titel: Kinsey Millhone 08 - Sie kannte ihn fluechtig - F wie Faelschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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mich, dann zum Boden, zur Decke oder einfach nur wahllos in irgendeine Richtung zeigte. Royce hätte eigentlich der Stärkere sein müssen, aber er war durch seine Krankheit stark geschwächt, und Anns blinde Wut verlieh ihr ungeahnte Kräfte. Royce packte die Waffe beim Schaft und riss daran.
    Mündungsfeuer blitzte auf, und der Schuss füllte den Raum mit Pulvergestank. Die Schrotflinte fiel zu Boden, als Ann gellend aufschrie.
    Sie starrte fassungslos an sich herab. Die Schrotladung hatte ihr fast den ganzen rechten Fuß weggerissen. Es war nur noch ein Stumpf aus rohem Fleisch übrig. Ich fühlte, wie es mir heiß wurde, und wandte mich entsetzt ab.
    Der Schmerz muss schrecklich gewesen sein. Blut schoss pulsierend aus der Wunde. Ihr Gesicht hatte jede Farbe verloren. Sie sank sprachlos zu Boden, umfasste ihr Bein und schaukelte mit dem Oberkörper vor und zurück, während ihre Schreie in leises, durchdringendes Jammern übergingen.
    Royce zuckte vor ihr zurück. »Entschuldige«, brachte er kaum hörbar heraus. »Das wollte ich nicht. Ich wollte nur helfen.«
    Ich hörte Schritte auf der Treppe. Bert, Mrs. Maude und ein junger Polizist, den ich noch nie gesehen hatte. Wieder ein halbes Kind.
    »Rufen Sie einen Krankenwagen!«, schrie ich. Ich riss ein Kissen vom Bett und presste es gegen Anns blutigen Stumpf, um zu verhindern, dass das Blut überallhin spritzte. Der Polizist fummelte an seinem Sprechfunkgerät herum, während Mrs. Maude sinnlos vor sich hinbrabbelte und die Hände rang. Mrs. Emma war hinter ihr ins Zimmer gekommen und begann zu schreien, als sie sah, was passiert war. Maxine und Bert klammerten sich bleich aneinander. Endlich schob der Polizist alle in den Korridor und schloss die Tür. Selbst noch durch die Wand konnte ich Mrs. Emmas schrille Schreie hören.
    Ann lag mittlerweile auf dem Rücken, einen Arm über das Gesicht gepresst. Royce hielt ihr die rechte Hand und wackelte mit dem Oberkörper vor und zurück. Sie weinte wie eine Fünfjährige. »Du bist nie für mich da gewesen... nie für mich da gewesen ..,«
    Ich dachte an meinen Vater. Als er starb, war ich fünf. Ein Bild tauchte vor mir auf, eine Erinnerung, die ich jahrelang verdrängt hatte. Im Auto, kurz nach dem Unfall, als ich auf dem Rücksitz eingeklemmt saß und auf das endlose Weinen meiner Mutter hörte, hatte ich mit der Hand nach dem Vordersitz getastet und die kraftlose Hand meines Vaters gefunden. Ich hatte meine Finger in seine Finger verschränkt, nicht wissend, dass er bereits tot war, sondern in dem Glauben, alles würde gut werden, solange ich ihn nur hatte. Wann war mir eigentlich klar geworden, dass er für immer gegangen war? Wann hatte Ann begriffen, dass Royce nicht für sie da war? Und was war mit Jean Timberlake? Keine von uns hatte die Wunden verkraftet, die uns unsere Väter viele Jahre zuvor zugefügt hatten. Hatten sie uns geliebt? Wie sollen wir das je erfahren? Er war nicht mehr da, und er würde nie wieder das für uns sein, was er für uns in all seiner gespenstisch quälenden Vollkommenheit gewesen war.

Epilog

    Das Verfahren gegen Bailey Fowler wurde eingestellt. Ann wurde des Mordes an Ori Fowler und Shana Timberlake angeklagt. Den Mord an Jean Timberlake wird die Staatsanwaltschaft ihr vermutlich nie nachweisen können.
    Zwei Wochen waren inzwischen vergangen. Ich bin wieder in meinem Büro in Santa Teresa und habe meine Abrechnung gemacht. Für Arbeitsstunden, Kilometergeld und Essensspesen stelle ich Royce Fowler 1.83z $ in Rechnung, die ich von den z.000 $ Vorschuss abziehe. Wir haben am Telefon darüber gesprochen, und er hat mich gebeten, den Differenzbetrag zu behalten. Er klammert sich noch immer mit der ihm eigenen Zähigkeit ans Leben; wenigstens ist Bailey nun in seinen letzten Wochen bei ihm.
    Ich habe festgestellt, dass ich Henry Pitts plötzlich mit ganz anderen Augen sehe. Er ist vielleicht der einzige Ersatzvater, den ich je haben werde. Anstatt ihm mit Misstrauen zu begegnen, will ich die Zeit genießen, die wir noch zusammen sind, was immer das heißen mag. Er ist erst zweiundachtzig, und ich lebe, weiß Gott, wesentlich gefährlicher als er.

    Bis demnächst,
    Ihre Kinsey Millhone

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