Kinsey Millhone 08 - Sie kannte ihn fluechtig - F wie Faelschung
suchte nach Unterlassungssünden bei meinen Ermittlungen. Dabei wusste ich nicht einmal, was ich zu finden hoffte. Ich nahm mir erneut die Aufzeichnungen vor, die ich nach der Lektüre von Jean Timberlakes Schulakte gemacht hatte. Damals hatte das Mädchen in der Palm Street gewohnt, also praktisch von der Kirche aus gesehen gleich um die Ecke. Ich überlegte, ob es sich lohnen könnte, sich das Haus anzusehen. Warum eigentlich nicht, dachte ich. In Ermangelung harter Tatsachen durfte ich ruhig auf eine Eingebung hoffen. Ich startete den VW und fuhr zu der früheren Adresse der Timberlakes. Es war nur einen Block entfernt, sodass ich auch zu Fuß hätte gehen können, aber ich hielt es für besser, meinen Parkplatz für den Leichenwagen frei zu machen. Das Wohnhaus lag auf der linken Seite, ein zwei Stockwerke hoher Komplex mit schäbigem, blassgrünem Putz, der unsensibel an einen Steilhang geklatscht worden war.
Beim Näherkommen wusste ich schon, dass es hier nicht viel zu entdecken geben konnte. Das Haus war verlassen, die Fenster mit Brettern vernagelt. An der linken Seite führte ein hölzerner Treppenaufgang in den zweiten Stock hinauf, wo ein Balkon rund ums Gebäude führte. Ich stieg die Stufen hinauf. Die Timberlakes hatten in Nummer 6, also im Schatten des Hanges gewohnt. Es sah trostlos aus. In der Wohnungstür war ein glattes rundes Loch, dort wo früher der Türknauf gesessen hatte. Ich stieß sie auf. Das Holzfurnier war teilweise abgesplittert und hatte das billige Holz darunter freigelegt.
Die Fenster waren noch intakt, aber der Unterschied zu den mit Brettern vernagelten Fensteröffnungen war nur geringfügig; die dicke Staub- und Schmutzschicht auf den Scheiben ließ kaum Licht herein. Rußiger Staub lag auf dem Linoleumfußboden. Die Arbeitsplatte in der Küche war aufgequollen, die Schranktüren hingen schräg in den Angeln. Mäusekot gab überall Zeugnis von den neuen Bewohnern. Das Apartment hatte nur ein Schlafzimmer. Von hier führte die Hintertür auf den Balkon an der Rückseite des Gebäudes zu einer primitiven Treppe, die man in der Hangseite verankert hatte. Ich sah hinauf. Die freiliegende Erde auf dem steilen Abhang war erodiert. Gut fünfzehn Meter weiter oben quollen dichte Weinranken über die Hangkante. Und dort, am höchsten Punkt, lag ein Privathaus. Von dort musste man einen spektakulären Ausblick auf die Stadt haben, linker Hand das Meer, rechter Hand lehnte sich das Grundstück an einen sanften Hügel an.
Ich trat ins Haus zurück und versuchte im Geiste die Jahre zurückzudrehen. Natürlich war das Apartment möbliert gewesen; vielleicht nicht luxuriös, aber mit Sinn für bescheidene Gemütlichkeit. An den Spuren auf dem Fußboden glaubte ich zu erkennen, wo die Couch gestanden haben musste. Ich vermutete, dass die Timberlakes den Essplatz in der Küche als zweite Schlafnische genutzt hatten und überlegte, wessen Bett hier wohl gestanden haben mochte. Shana hatte erwähnt, dass Jean sich nachts häufig davongeschlichen hatte.
Ich ging erneut durch das eine Zimmer, trat durch die Hintertür ins Freie und studierte nachdenklich die Hintertreppe und blickte an der Hangkante in die Höhe. Vielleicht hatte Jean diesen Weg benutzt, um zu der Straße zu gelangen, die oben vorbeiführte, wo ihre jeweiligen Freunde sie mit dem Auto abholen und wieder absetzen konnten. Ich rüttelte an dem Geländer aus rohem Holz, das schlampig verarbeitet und nach der langen Zeit locker geworden war. Die primitive Treppe war ungewöhnlich steil und der Aufstieg nicht ungefährlich. Zahlreiche Teile des Handlaufs waren weggebrochen.
Ich stieg langsam hinauf und gelangte schwer atmend bis zur oberen Hangkante, an der ein Maschendrahtzaun entlangführte. Eine Tür war hier nicht zu sehen, doch früher mochte es durchaus einen Durchgang gegeben haben. Vorsichtig wandte ich den Kopf und sah hinunter auf die Dächer unter mir. Der Blick war atemberaubend... Baumwipfel zu meinen Füßen und dahinter die Stadt... Mir wurde schwindelig. Ein parkendes Auto hatte von hier aus ungefähr die Größe eines Stücks Seife.
Dann sah ich mir das Haus an, das vor mir lag, eine zweistöckige Konstruktion aus Holz mit viel Glas und leicht verwitterten Fassaden. Der Garten war gepflegt und herrlich angelegt, mit Swimmingpool, einem Warmwasserbecken, Terrasse, elegantem Glastisch und Gartenstühlen. Anderswo in der Stadt wäre ein solcher Besitz mit Sichtschutzhecken umgeben, um die Privatsphäre zu schützen.
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