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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Handtücher und Tagesdecken. Auch Schrubber, Staubsauger, Bügeleisen, Bügelbretter und diverse Reinigungsmittel waren da. Ich schnappte mir einen Stapel Handtücher und ging wieder.
    Vor der Tür zu Brians Zimmer blieb ich stehen, im spitzen Winkel zum Spion, und klopfte. Der Fernseher wurde leiser. Ich wartete. Er versuchte wohl, mich durch den Spion in Augenschein zu nehmen. »Ja?« rief er gedämpft.
    » Criada «, rief ich. Es ist das spanische Wort für »Zimmermädchen«. Ich hatte es gleich in der ersten Unterrichtsstunde gelernt, weil so viele von den Frauen, die bei mir im Kurs sind, möglichst schnell den Wortschatz lernen wollen, der es ihnen ermöglicht, mit ihren Dienstmädchen zu sprechen. Sonst taten die Mädchen nämlich angeblich einfach das, was sie wollten, und die Frauen konnten ihnen nur hinterherlaufen und versuchen, ihnen zu zeigen, worauf es ihnen beim Saubermachen ankam. Erfolglos, da die Mädchen vorgaben, nichts zu verstehen.
    Auch Brian verstand nicht. Er zog die Tür bei vorgelegter Kette einen Spalt auf und schaute heraus. »Was ist denn?«
    Ich hielt den Stapel Handtücher hoch, auch um mein Gesicht zu verbergen. »Handtücher«, sagte ich.
    »Oh.« Er schloß die Tür, löste die Kette und machte mir wieder auf. Ich trat ins Zimmer. Ohne mir einen Blick zu gönnen, wies er zum Badezimmer. Seine Aufmerksamkeit war schon wieder von dem Film im Fernsehen gefesselt. Es war ein alter Schwarzweißfilm: Männer mit hohen Wangenknochen und Brillantinewellen, Frauen mit hauchdünn gezupften Augenbrauen. Die Gesichtsausdrücke waren alle tragisch. Brian stellte den Ton wieder laut.
    Ich ging ins Badezimmer und sah mich, da ich schon mal da war, gründlich um. Keine Kanonen, Hackebeilchen oder Macheten in Sicht. Dafür reichlich Sonnencreme und Haargel, eine Haarbürste, ein Fön und ein Rasierer. Ich glaubte nicht, daß der Junge genug Bart im Gesicht hatte, um einen Rasierer zu brauchen. Aber vielleicht übte er ja nur.
    Ich legte die Handtücher auf die Konsole und ging ins Zimmer nebenan, wo ich mich aufs Bett setzte. Zunächst schien Brian meine Anwesenheit gar nicht wahrzunehmen. Die Geigen schluchzten, und die Liebenden zeigten der Kamera ihre beiden makellosen Gesichter. Seins war hübscher als ihrs.
    Als Brian mich schließlich bemerkte, gab er sich cool und ließ sich keine Überraschung anmerken. Er nahm die Fernbedienung und stellte die Lautstärke wieder herunter. Die Szene lief stumm weiter, mit vielen lebhaften Dialogen. Ich habe mir oft überlegt, ob ich so vielleicht lernen könnte, von den Lippen abzulesen. Die Liebenden auf der Leinwand sprachen dem anderen jeweils direkt ins Gesicht. Ich dachte schaudernd an üblen Mundgeruch. Ihr Mund bewegte sich, aber Brians Stimme war zu hören.
    »Wie haben Sie mich gefunden?«
    Ich tippte mir an die Stirn, während ich versuchte, mich vom Fernsehschirm loszureißen.
    »Wo ist mein Vater?«
    »Das wissen wir noch nicht. Kann sein, daß er die Küste hinuntersegelt, um Sie abzuholen.«
    »Hoffentlich beeilt er sich.« Er lehnte sich im Sessel zurück, hob die Arme und faltete die Hände über seinem Kopf. Die Muskeln seiner Oberarme sprangen scharf hervor. Er stemmte einen Fuß gegen die Bettkante und schob seinen Sessel ein paar Zentimeter zurück. Die Haarbüschel unter seinen Armen wirkten seltsam animalisch. Ich fragte mich, ob ich das Alter erreicht hatte, in dem mir alle Knaben mit strammen Körpern animalisch erscheinen würden. Ich fragte mich, ob ich vielleicht mein Leben lang schon in diesem Alter war.
    Er beugte sich zur Kommode und nahm ein frisches Paar Socken, das ordentlich zusammengerollt einen weichen Ball bildete. Er warf den Ball an die Wand und fing ihn auf, als er zurückprallte.
    »Sie haben nichts von ihm gehört?« fragte ich.
    »Nein.« Wieder warf er den Ball und fing ihn.
    »Sie haben gesagt, Sie hätten ihn vorgestern gesprochen. Sagte er da etwas davon, daß er vorhatte abzureisen?« fragte ich.
    »Nein.« Er ließ das Sockenknäuel bei angewinkeltem Arm aus seiner rechten Hand herabfallen und streckte blitzartig den Arm, so daß die Socken von der gestreckten Ellbogenbeuge in die Höhe sprangen. Er fing sie auf und ließ sie wieder fallen. Er mußte genau aufpassen, um nicht daneben zu greifen. Und fallen lassen. Und fangen. Und fallen lassen. Und fangen.
    »Was hat er gesagt?« fragte ich.
    Er griff ins Leere.
    Verärgert über die Störung seiner Konzentration, warf er mir einen Blick zu. »Scheiße, weiß

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