Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
ist das.«
»Vielleicht ist es an der Zeit, daß sie mit dieser Art Leben aufhört«, meinte ich.
»Das findet sie auch, und ich sage: »He, das bleibt dir überlassen.« Niemand zwingt meine Mädchen zum Weitermachen. Wenn sie raus will, ist das ihre Sache. Ich müßte sie allerdings fragen, wie sie sich ihr Geld verdienen will...« Das ließ er im Raum stehen, und seine Stimme triefte vor Skepsis.
»Und was heißt das? Ich kann Ihnen nicht folgen.«
»Ich versuche nur, mir vorzustellen, wie sie im Kaufhaus oder als Kellnerin oder dergleichen arbeitet. Irgendein Job mit Mindestlohn. So zugerichtet wäre es natürlich hart für sie, aber wenn es ihr nichts ausmacht, auf den Hund zu kommen, steht es mir nicht zu, das zu verhindern. Narben im Gesicht könnten ja auch ein Trick sein, um eingestellt zu werden.«
»Niemand hat Narben im Gesicht erwähnt«, sagte ich. »Wie kommen Sie darauf?«
»Oh. Na ja, ich hab’s nur vermutet. Es hat sich herumgesprochen, daß sie übel zusammengeschlagen worden ist. Daher habe ich zwangsläufig angenommen, daß das Gesicht unseligerweise mitbetroffen ist, wissen Sie? Es ist ein Jammer, aber eine Menge Typen versuchen es einem armen Mädchen zu erschweren, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, wollen ihr Selbstbewußtsein untergraben und noch andere Gemeinheiten.«
Cheney kam zurück, und sein Blick wanderte neugierig zwischen Lester und mir hin und her. »Alles in Ordnung?«
»Sicher, bestens«, antwortete ich knapp.
»Wir reden bloß übers Geschäft«, sagte Lester. »Ich weiß immer noch nicht, wie es Danielle geht. Wird sie wieder gesund?«
»Zeit zu gehen«, sagte Cheney zu ihm. »Wir bringen Sie zu Ihrem Wagen.«
»He, klare Sache. Wo haben sie sie denn hingelegt, auf die orthopädische? Ich könnte ihr ein paar Blumen schicken, wenn ich es wüßte. Jemand hat mir erzählt, ihr Kiefer sei gebrochen. Wahrscheinlich war’s irgendein Irrer voller Koks.«
»Sparen Sie sich die Blumen. Wir geben Ihnen keine Auskunft. Anweisung des Arztes«, sagte Cheney.
»Ganz schön schlau. Das wollte ich selbst schon vorschlagen. Schützt sie vor den falschen Typen.«
Ich sagte: »Dafür ist es schon zu spät«, doch die Ironie drang nicht zu ihm durch.
Als wir auf der Straße vor dem St. Terry’s standen, schüttelten wir uns zum Abschied alle die Hände, als hätten wir gerade eine geschäftliche Besprechung hinter uns gebracht. Sowie Lester uns den Rücken zuwandte, wischte ich mir die Hand an meinen Jeans ab. Cheney und ich blieben auf dem Gehsteig stehen, bis wir ihn wegfahren sahen.
17
Es war schon fast vier Uhr morgens, als Cheneys kleiner roter Mazda durch die dunklen Straßen brummte. Das Verdeck war offen, und der Wind peitschte mir ins Gesicht. In manchen Häusern, an denen wir vorbeifuhren, sah ich Licht brennen, während Leute, die früh zur Arbeit mußten, die Kaffeemaschine einschalteten, bevor sie unter die Dusche stolperten.
»Ist dir kalt?«
»Nein, es ist gut so«, antwortete ich. »Lester schien eine Menge über Danielles Qualen zu wissen. Glaubst du, daß er es war?«
»Nicht wenn er will, daß sie arbeitet«, meinte Cheney.
Zu dieser Stunde ist der Himmel bis hinunter zum Schwarz der Bäume von einer gleichförmigen, grauen Schattierung. Tau durchtränkt das Gras. Manchmal hört man das Spritzen der Rasensprenger, die von Computern darauf programmiert sind, den Rasen zu bewässern, bevor die Sonne ganz aufgegangen ist. Wenn die geringen Niederschläge weiter anhielten wie bisher, würde der Wasserverbrauch beschränkt werden und all das üppige Gras vertrocknen. Während der letzten Dürre sahen viele Hausbesitzer keine andere Möglichkeit, als ihre Gärten mit grüner Farbe zu spritzen.
Auf dem Cabana Boulevard schlängelte sich ein Junge auf einem Skateboard den finsteren Gehsteig entlang. Mir fiel ein, daß ich erwartet hatte, dem Jongleur zu begegnen, dem Mann auf dem Fahrrad mit seinem Rücklicht und den unablässig tretenden Füßen. Für mich stand er mittlerweile für das Eingreifen einer unberechenbaren Macht, feenhaft und dämonisch, ein reines Phantasieprodukt, das vor mir entlangtänzelte wie die Lösung eines Rätsels. Wo immer ich hinging, tauchte er irgendwann auf, immer eilig irgendwohin unterwegs, ohne je an sein Ziel zu kommen.
Cheney wurde langsamer und beugte sich vor, um sich den Skateboardfahrer im Vorbeifahren genauer anzusehen. Er hob grüßend eine Hand, und der Junge winkte zurück.
»Wer ist das?« fragte
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