Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
ich.
»Er arbeitet nachts in einem Sanatorium. Sein Führerschein ist wegen eines Drogenvergehens eingezogen worden. Er ist aber im Grunde ein anständiger Junge«, sagte Cheney. Kurz darauf bog er in Danielles Gasse ein, wo mein Auto noch stand. Er stellte sich hinter den VW und schaltete in den Leerlauf, um das Motorengeräusch so leise wie möglich zu halten. »Wie sieht dein Tag aus? Kommst du zum Schlafen?«
»Ich hoffe es. Ich bin echt erledigt«, sagte ich. »Mußt du arbeiten?«
»Ich gehe jetzt nach Hause und ins Bett. Ein paar Stunden wenigstens. Ich rufe dich später an. Wenn du Lust hast, können wir ja zusammen einen Happen essen gehen.«
»Mal sehen, wie sich mein Tag entwickelt. Wenn ich nicht da bin, hinterlaß mir eine Nachricht. Ich rufe dich zurück.«
»Gehst du ins Büro?«
»Offen gestanden wollte ich zu Danielle hinüberfahren und saubermachen. Ihre Wohnung war voller Blut.«
»Das brauchst du nicht. Der Vermieter hat gesagt, er würde Anfang nächster Woche jemanden zum Putzen hinschicken. Er kann zwar vor Montag niemanden bekommen, aber das ist immer noch besser, als wenn du es tust.«
»Es macht mir nichts aus. Ich möchte gern etwas für sie tun. Vielleicht hole ich auch ihren Bademantel und ihre Pantoffeln und bringe beides ins St. Terry’s hinüber.«
»Wie du willst«, sagte er. »Ich passe auf, bis du wegfährst. Sieh zu, daß dein Auto anspringt und dich der schwarze Mann nicht kriegt.«
Ich machte die Beifahrertür auf, packte meine Handtasche und stieg aus. »Danke fürs Mitnehmen und alles andere. Das meine ich ernst.«
»Keine Ursache.«
Ich schlug die Tür zu und ging zu meinem Auto hinüber, während Cheney wie ein Schutzengel über mich wachte. Der VW sprang ohne zu murren an, und ich winkte Cheney, um ihm zu signalisieren, daß alles in Ordnung sei, aber er wollte mich noch nicht aus den Augen lassen. Er folgte mir nach Hause, und so kurvten wir beide die dunklen Straßen hinauf und hinunter. Ausnahmsweise fand ich direkt vor meiner Wohnung einen Parkplatz. Dort angekommen, schien er mich in Sicherheit zu wähnen. Er legte den ersten Gang ein und fuhr davon.
Ich sperrte den Wagen ab, ging durchs Tor und weiter nach hinten, wo ich meine Haustür aufsperrte und hineinging. Ich sammelte die Post auf, die durch den Schlitz geschoben worden war, schaltete eine Lampe an, stellte die Tasche ab und verschloß die Tür hinter mir. Dann begann ich, mich aus den Kleidern zu schälen, während ich die Wendeltreppe hinaufstieg, und verteilte die Kleidungsstücke auf dem Fußboden, bis es aussah wie in einer dieser romantischen Komödien, wo das Liebespaar es kaum noch erwarten kann. Mir ging es so mit dem Schlaf. Nackt stolperte ich herum, schloß die Jalousien, stellte das Telefon ab und machte die Lichter aus. Mit einem Seufzer der Erleichterung kroch ich unter das Federbett. Ich fürchtete, womöglich zu übermüdet zu sein, um einzuschlafen, aber das stellte sich als Irrtum heraus.
Als ich aufwachte, war es schon nach fünf Uhr nachmittags. Einen Moment lang dachte ich, ich hätte rund um die Uhr bis zum nächsten Morgengrauen geschlafen. Ich starrte zur Plexiglaskuppel über meinem Bett hinauf und versuchte, mich in dem Halbdunkel zu orientieren. Ich überprüfte meinen Allgemeinzustand und befand, daß ich vermutlich genug geschlafen hatte. Als ich feststellte, daß ich am Verhungern war, quälte ich mich aus dem Bett. Ich putzte mir die Zähne, duschte und wusch mir die Haare. Dann zog ich ein altes Sweatshirt und abgetragene Jeans an. Unten füllte ich einen Plastikeimer mit Lumpen und verschiedenen Putzmitteln. Nun, da die unmittelbare Krise vorüber war, wallte endlich die Wut auf ihren Angreifer in mir auf. Männer, die Frauen schlagen, stehen fast so tief wie Männer, die Kinder schlagen.
Ich wählte Cheneys Nummer, aber er war offenbar schon aufgestanden und aus dem Haus. Auf dem Anrufbeantworter hinterließ ich ihm eine Nachricht, in der ich die Tageszeit nannte und ihm mitteilte, daß ich zu hungrig sei, um auf ihn zu warten. Als ich meine Haustür öffnete, fiel mir ein gelber Umschlag entgegen, der im Türrahmen gesteckt hatte. Quer darüber hatte Hector geschrieben: »Freitag, 17 Uhr 35. Habe geklopft, aber keine Reaktion. Anbei verbesserte Abschrift und Band. Konnte leider nicht mehr tun. Rufen Sie mich an, wenn Sie wieder da sind.« Darunter hatte er seine Privatnummer und die Nummer im Studio geschrieben. Er mußte vorbeigekommen sein und geklopft haben,
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