Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
in Schwarz über. Ein Lichtmuster fluoreszierte auf der Tanzfläche wie das Schimmern am Grund eines Swimmingpools. Ich hob den Blick an die Decke, wo ein Sturm auf hoher See projiziert wurde. Blitze flackerten über einen falschen Himmel, und ein unsichtbarer Wind toste über den Meeresspiegel. Ich hörte das Knacken der Schiffsplanken, als der Regen durch die Masten peitschte, und die Schreie ertrinkender Seeleute vor einem Hintergrund aus Rock ‘n’ Roll. Tanzende wogten vor und zurück, während ihre Arme in der rauchgeschwängerten Luft ruderten. Die Musik war so laut, daß sie schon fast geräuschlos war, wie Stille, genauso wie Schwarz jede Farbe ist, gesteigert ins Nichts.
Ich erklomm einen freien Barhocker und bestellte mir ein Bier, während ich die Menge musterte. Die Jungen trugen Wimperntusche und schwarzen Lippenstift, die Mädchen dagegen Punkfrisuren und komplizierte Tätowierungen. Ich ließ mir nicht anmerken, daß ich sie beobachtete. Schlagartig verstummte die Musik, und die Tanzfläche begann sich zu leeren. Ganz kurz tauchte ein vertrauter blonder Schopf in meinem Blickfeld auf, von dem ich geschworen hätte, daß er Berlyn gehörte. Dann verschwand sie wieder. Ich ließ mich vom Barhocker gleiten und bewegte mich in einem Bogen nach rechts, wobei ich immer wieder über die tobende Menge hinweg an den Punkt spähte, wo ich sie gesehen zu haben glaubte. Sie war nirgends in Sicht, aber ich war mir fast sicher, daß ich mich nicht geirrt hatte.
Ich blieb neben einem mächtigen Salzwasserbassin stehen, in dem ein flacher Aal mit tückischen Zähnen einen glücklosen Fisch verschlang. Plötzlich sah ich sie, wie sie mit einem bulligen Kerl in Muskelshirt, Armeehosen und schweren Springerstiefeln an einem Tisch saß. Den Kopf hatte er sich kahlgeschoren, aber seine Schultern und Oberarme waren noch mit dichter Wolle bewachsen. Sämtliche nicht von Haaren bedeckten Körperteile schienen mit Tätowierungen von Drachen und Schlangen bedeckt zu sein. Ich konnte die Ausbuchtungen seines Schädels und die Fleischwülste seines Nackens sehen. Oft schon habe ich mir vorgestellt, daß fette Nacken der Teil des menschlichen Körpers sind, den Außerirdische am liebsten verspeisen würden.
Berlyn saß im Profil zu mir. Sie hatte ihre Lederjacke abgestreift, die nun über der Stuhllehne hing und von ihrer Umhängetasche gehalten wurde. Sie trug die Ohrringe, zwei diamantenübersäte Reifen, die ihr rechts und links von den Ohren baumelten. Ihr Rock war aus grünem Satin und — genau wie ihr schwarzer — kurz und eng. Während sie sprach, berührte sie immer wieder die Ohrringe, erst den einen und dann den anderen, und vergewisserte sich so, daß sie noch an Ort und Stelle waren. Sie schien unsicher; vielleicht war sie es nicht gewohnt, so üppigen Schmuck zu tragen. Das Licht der Kerze, die mitten auf ihrem Tisch stand, fing sich in den zahllosen Facetten der Steine.
Donnernde Musik dröhnte durch den Raum, und die beiden standen auf, um wieder zu tanzen. Berlyn trug wieder dieselben spitzen Absätze, vielleicht in der Hoffnung, Knöcheln, die sonst so unförmig wie Verandapfosten waren, Anmut zu verleihen. Ihr Hintern sah aus, als hätte sie sich einen vollgepackten Rucksack um die Taille geschnallt. Die Leute am Tisch nebenan waren gegangen, und ich setzte mich auf den Stuhl neben ihrem.
Auf einmal stand Trinny rechts von mir. Ich hätte diese Begegnung gerne vermieden, aber ich wußte, daß sie mich bereits gesehen hatte.
»Hallo, Trinny. Wie geht’s? Ich wußte gar nicht, daß Sie hierher kommen.«
»Jeder kommt hierher. Es ist geil.« Beim Sprechen sah sie sich um und schnippte mit den Fingern, während sie im Takt der Musik ruckartig mit dem Kinn wippte. Ich überlegte, ob das wohl Paarungsverhalten war.
»Sind Sie allein hier?«
»Ä-äh, ich bin mit Berl da. Sie hat einen Freund, mit dem sie sich hier trifft, weil Daddy ihn nicht leiden kann.«
»Ehrlich, Berlyn ist auch hier? Wo ist sie denn?«
»Gleich hier, auf der Tanzfläche. Sie hat gerade noch hier gesessen.«
Sie zeigte in Richtung der Tanzfläche, und ich sah pflichtschuldigst hin. Berlyn zog mit ihrem bulligen Freund eine Hüftwackel-nummer ab. Ich konnte seinen rasierten Schädel über die anderen Köpfe ragen sehen, die auf der Tanzfläche auf und ab hüpften.
»Das ist der Typ, den Ihr Vater nicht leiden kann? Nicht zu fassen.«
Trinny zuckte mit den Achseln. »Es ist wegen seiner Haare, glaube ich. Daddy ist irgendwie
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