Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
mit Schnurrbart, der das lange Haar nach hinten gekämmt und mit einem Gummiband zusammengehalten trug. Er genoß bestimmt sämtliche Privilegien einer lokalen Berühmtheit und hatte sicher bei zahlreichen Wohltätigkeitsveranstaltungen als Conferencier mitgewirkt. Radiomoderatoren müssen nicht einmal das gewohnt gute Aussehen eines durchschnittlichen Fernsehansagers mitbringen, dennoch besaß sein Name Wiedererkennungswert, und vermutlich hatte er auch einen Haufen Verehrerinnen. Nun nahm er Hörerwünsche entgegen. Ich merkte, wie meine Gedanken sich überstürzten. Janice Kepler hatte erwähnt, daß Lorna sich bei ihren nächtlichen Streifzügen mit irgendeinem DJ getroffen hatte.
In den verlassenen Straßen suchte ich nach einer Telefonzelle. Ich kam an einer nachts geschlossenen Tankstelle vorbei und entdeckte an der Vorderseite des dazugehörigen Parkplatzes eine der letzten echten Telefonzellen, ein richtiges, aufrecht stehendes Modell mit Falttür. Ich ging hinein und ließ den Motor laufen, während ich meine Notizen durchblätterte und die Telefonnummer von Frankie’s Coffee Shop suchte. Ich warf einen Vierteldollar in den Schlitz und wartete.
Als sich in Frankie’s Coffee Shop eine weibliche Stimme meldete, fragte ich nach Janice Kepler. Der Hörer knallte auf den Tresen, und ich hörte, wie ihr Name dröhnend durch den Raum gerufen wurde. Im Hintergrund vernahm ich leises Gemurmel, vermutlich die Nachtausgabe der Kaffee-und-Kuchen-Typen, die ihrem Laster frönten. Janice meldete sich etwas mißtrauisch, fand ich. Vielleicht befürchtete sie schlechte Nachrichten.
»Hallo, Janice? Kinsey Millhone. Ich hoffe, ich störe nicht. Ich brauche eine Information, und ich hielt es für einfacher anzurufen, als den ganzen Weg dort hinauf zu fahren.«
»Ach, du meine Güte. Was machen Sie denn so spät noch? Sie haben doch schon ganz erschöpft ausgesehen, als wir uns auf dem Parkplatz getrennt haben. Ich hätte gedacht, Sie schliefen schon tief und fest.«
»Das hatte ich auch vor, aber ich kam nicht dazu. Ich war viel zu aufgeputscht vom Kaffee, und da dachte ich, ich könnte ebensogut ein paar Dinge erledigen. Ich habe mit einem der Kriminalbeamten gesprochen, die Lomas Fall bearbeitet haben. Ich bin immer noch unterwegs und würde gern mehr Informationen sammeln, wenn ich schon dabei bin. Haben Sie nicht erwähnt, daß Lorna mit dem DJ eines lokalen Senders befreundet war?«
»Das stimmt.«
»Können Sie irgendwie herausfinden, wer das war?«
»Ich kann es versuchen. Moment mal.« Ohne die Sprechmuschel zuzuhalten, beriet sie sich mit einer anderen Kellnerin. »Perry, wie heißt denn diese Jazzsendung, die die ganze Nacht läuft, oder vielmehr der Sender?«
»K-SPELL, glaube ich.«
Das wußte ich bereits. Um mir Zeit zu sparen, sagte ich: »Janice?«
»Und der Discjockey? Weißt du, wie der heißt?«
Im Hintergrund hörte ich etwas undeutlich, wie Perry sagte: »Welcher? Da gibt es zwei.« Geschirr klirrte, und die Lautsprecher gaben eine Version von »Up, Up and Away« mit Streichern von sich.
»Der, mit dem Lorna befreundet war. Ich hab’ dir doch von ihm erzählt.«
Ich unterbrach Janice. »He, Janice?«
»Perry, warte mal. Was denn?«
»Könnte es Hector Moreno sein?«
Sie stieß einen kleinen Schrei des Erkennens aus. »Genau. Der ist es. Ich bin mir fast sicher, daß er es ist. Warum rufen Sie ihn nicht an und fragen, ob er sie gekannt hat?«
»Das werde ich tun«, sagte ich.
»Lassen Sie es mich auf jeden Fall wissen. Und wenn Sie danach immer noch in der Stadt herumflitzen, kommen Sie doch vorbei und trinken Sie eine Tasse Kaffee auf meine Rechnung.«
Beim Gedanken an noch mehr Kaffee machte mein Magen einen Satz. Die Tassen, die ich intus hatte, ließen mein Hirn bereits vibrieren wie eine aus dem Gleichgewicht geratene Waschmaschine. Sowie sie aufgelegt hatte, drückte ich kurz auf die Gabel und ließ das Freizeichen ertönen, während ich das mit einer Kette befestigte Telefonbuch hochwuchtete und darin blätterte. Sämtliche Radiosender waren am Beginn des Buchstabens K aufgeführt. K-SPL war zufälligerweise nur sechs oder acht Häuserblocks weit entfernt. Hinter mir, aus dem Auto, konnte ich die ersten Takte des nächsten Jazz-Titels hören. Unten in meiner Handtasche fand ich noch einen Vierteldollar und rief beim Sender an.
Das Telefon klingelte zweimal. »K-SPELL. Hector Moreno am Apparat.« Sein Tonfall war geschäftsmäßig, aber es war auf jeden Fall der Mann, den ich
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