Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
Ermittlungen viele Möglichkeiten überprüft.«
»Das stimmt, aber es ist nicht viel dabei herausgekommen. Frustrierend. Jedenfalls ist alles noch vorhanden, falls du einen Blick darauf werfen willst. Ich kann Emerald bitten, die Akten anzufordern, wenn Dolan grünes Licht gegeben hat.«
»Dafür wäre ich dir dankbar. Lornas Mutter hat mir ein paar Unterlagen gegeben, aber sie hatte nicht alles. Sag mir einfach Bescheid, und ich komme kurz im Revier vorbei und sehe mir die Akten durch.«
»Klare Sache. Wir können uns danach wieder unterhalten.«
»Danke, Cheney. Du bist ein Schatz.«
»Ich weiß«, sagte er. »Vergiß bloß nicht, uns auf dem laufenden zu halten. Und keine krummen Dinger. Wenn du auf etwas stößt, wollen wir nicht, daß es vor Gericht abgelehnt wird, weil du Beweismaterial verfälscht hast.«
»Du unterschätzt mich«, sagte ich. »Seit ich in Lonnie Kingmans Büroräumen arbeite, bin ich ein Engel unter den Frauen. Ein Ausbund an Tugend.«
»Das glaube ich dir«, meinte er. Erhörte nicht auf zu lächeln, und in seinen Augen leuchtete ein nachdenkliches Funkeln. Ich dachte, daß ich wahrscheinlich genug gesagt hatte. Dann machte ich einen Schritt nach hinten, drehte mich um und winkte ihm beim Hinausgehen zu.
Draußen sog ich die Ruhe der kalten Nachtluft in mich ein und nahm den schwachen Geruch von Zigarettenrauch wahr, der von irgendwo weiter vorn zu mir herwehte. Ich hob den Kopf und sah gerade noch einen Mann, der um die Straßenkurve verschwand und dessen Schritte langsam verhallten. Es gibt Männer, die nachts umherlaufen und mit hochgezogenen Schultern und gesenkten Köpfen ein einsames Ziel verfolgen. Im allgemeinen halte ich sie für harmlos, aber man kann nie wissen. Ich sah ihm nach, bis ich sicher sein konnte, daß er weg war. In der Ferne war eine tiefliegende Wolkendecke an die andere Seite der Berge gedrückt worden und quoll nun herüber.
Sämtliche Parkplätze waren besetzt. Die Wagen glänzten unter der harten Beleuchtung wie auf einem Markt für Gebrauchtwagen der Luxusklasse. Mein Uralt-VW wirkte ausgesprochen fehl am Platze, ein gemütlicher, blaßblauer Buckel unter all den flachen, schnittigen Sportmodellen. Ich schloß die Tür auf und ließ mich auf den Fahrersitz gleiten. Dann blieb ich einen Moment lang mit den Händen auf dem Lenkrad sitzen und überlegte, was ich als nächstes tun sollte. Das Glas Weißwein hatte wenig dazu beigetragen, meinen überreizten Zustand zu dämpfen. Ich wußte, wenn ich jetzt nach Hause führe, würde ich bloß auf dem Rücken liegen und auf das Oberlicht über meinem Bett starren. Ich ließ den Wagen an und fuhr am Strand entlang bis zur State Street. Dann bog ich nach rechts in Richtung Norden ab.
Als ich die Eisenbahngleise überquerte, fing das Radio zu plärren an. Ich hatte nicht einmal gewußt, daß ich das verdammte Ding angelassen hatte. Es funktionierte mittlerweile kaum noch, aber hin und wieder konnte ich ihm Geräusche entlocken. Manchmal schlug ich mit der Faust auf das Armaturenbrett und bekam mißtönende Nachrichten oder Werbespots zu hören. Ein andermal schnappte ich einen verblüffenden Ausschnitt aus dem Wetterbericht auf. Es lag wahrscheinlich an einem losen Draht oder einer fehlerhaften Sicherung, aber das sind nur Vermutungen meinerseits. Ich weiß nicht einmal, ob Radios heutzutage noch Sicherungen haben. Momentan war der Empfang jedenfalls vollkommen klar.
Ich drückte einen Knopf und schaltete nahtlos von AM auf FM um. Dann drehte ich vorsichtig den Zeiger und ging einen Sender nach dem anderen durch, bis ich die Klänge eines Tenorsaxophons hörte. Ich hatte keine Ahnung, wer da spielte, aber der leidende Bläsersatz paßte perfekt zu dieser späten Stunde. Das Stück endete, und eine männliche Stimme füllte die Stille. »Das war Gato Barbieri am Saxophon mit einem Stück namens >Picture in the Rain< aus dem Film Der letzte Tango in Paris. Komponist war gleichfalls Gato Barbieri, die Aufnahme stammt von 197z. Und ich bin Hector Moreno, hier auf K-SPELL, und bringe Ihnen an diesem ganz frühen Montagmorgen die Magie des Jazz.«
Seine Stimme klang angenehm, sie war volltönend und ausgewogen und vermittelte lässige Selbstsicherheit. Sie gehörte einem Mann, der sich seinen Lebensunterhalt damit verdiente, daß er die ganze Nacht aufblieb, über Interpreten und Plattenfirmen sprach und für Schlaflose CDs abspielte. Ich stellte mir einen Mann Mitte Dreißig vor, dunkel, kräftig gebaut, vielleicht
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