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Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Titel: Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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und drückte den Code der Fernabfrage, um eventuell eingegangene Nachrichten abzuhören. Nichts. Meine freundliche Botschaft aus der Ferne hatte keine Wirkung erzielt, was hieß, daß ich irgendwann selbst vorbeifahren mußte.
    Mittlerweile war es fast Mitternacht, und ich spürte, wie mir die Energie aus allen Poren rann. Nachdem ich mein Leben bei Tage aufgegeben hatte, um meiner Tätigkeit bei Nacht nachzugehen, merkte ich, daß es mir zunehmend schwerer fiel, meinen toten Punkt vorherzusehen. Ich sehnte mich danach, mich rückwärts aufs Bett fallen zu lassen und in meinen Kleidern einzuschlafen. Bevor die Vorstellung zu verführerisch wurde, erhob ich mich. Im Badezimmer machte ein Schild auf die drohende Dürregefahr aufmerksam und hielt die Motelgäste dazu an, so wenig Wasser wie möglich zu verwenden. Ich duschte rasch (und schuldbewußt) und trocknete mich anschließend mit einem Handtuch ab, das so rauh war wie ein asphaltierter Gehweg. Dann stellte ich meinen Seesack aufs Bett und holte frische Unterwäsche und eine Strumpfhose heraus. Anschließend zog ich das Wundergewand hervor, mein schwarzes Allzweckkleid. Vor nicht allzulanger Zeit war dieses Stück von fauligem Wasser durchtränkt gewesen und hatte nach Moder und Sumpfbewohnern aller Art gestunken. In den Monaten seitdem hatte ich es mehrmals in die Reinigung gegeben, und nun war es wieder so gut wie neu... es sei denn, man schnupperte aus nächster Nähe daran. Das Material repräsentierte die Krönung der jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse: leicht, faltenabweisend, schnelltrocknend und unzerstörbar. Mehrere meiner Bekannten verwünschen diese letztere Qualität und bitten mich, das Kleid wegzuwerfen und meiner Garderobe ein neues einzuverleiben. Ich sehe nicht ein, was das für einen Sinn haben sollte. Mit seinen langen Ärmeln und dem gerafften Oberteil war das Allzweckkleid ideal (na ja, angemessen) für alle Gelegenheiten. Ich hatte es schon auf Hochzeiten, Beerdigungen, Cocktailpartys und bei Gerichtsterminen getragen. Ich schüttelte es kurz, machte den Reißverschluß auf und schaffte es, gleichzeitig in das Kleid und meine flachen, schwarzen Slipper zu steigen. Kein Mensch würde mich mit einem Aushängeschild der Mode verwechseln, aber zumindest ginge ich als Erwachsene durch.
    Nach dem Stadtplan und der Adresse, die ich bekommen hatte, zu urteilen, lebte Joseph Ayers in Pacific Heights. Ich legte den Plan auf den Beifahrersitz und ließ die Innenbeleuchtung an, damit ich sehen konnte, wohin ich fuhr. An der Divisadero bog ich links ab und fuhr in Richtung Sacramento Street. In seinem Viertel angekommen, drehte ich erst einmal eine Runde. Sogar zu dieser Stunde war das Anwesen der Ayers nicht zu übersehen. Das Haus erstrahlte von Lichtern, und ein ständiger Strom kommender und gehender Gäste benutzte den draußen eingerichteten »Parkservice«. Ich übergab mein Auto einem der jungen Männer in schwarzen Frackhosen und weißen Smokinghemden. Vor mir war ein Mercedes eingetroffen, und hinter mir wartete ein Jaguar.
    Das vordere Tor stand offen, und Spätankömmlinge wurden um das Haus herum zum Garten geleitet. Der Zutritt wurde von einem Mann im Smoking überwacht, der meinen Aufzug mit sichtlicher Besorgnis musterte. »Guten Abend. Darf ich Ihre Einladung sehen?«
    »Ich komme nicht wegen der Party. Ich habe einen privaten Termin bei Mr. Ayers.«
    Sein Blick sagte mir, daß er dies bezweifelte. Aber er wurde dafür bezahlt, daß er lächelte, und so schenkte er mir das minimale Quantum davon. »Klingeln Sie an der Vordertür. Eines der Mädchen wird Ihnen aufmachen.«
    Um das Haus zog sich ein schmaler Grünstreifen, der nach San-Francisco-Maßstäben großzügig zu nennen war, da hier die meisten Häuser direkt aneinander kleben. Eine hohe Buchsbaumhecke war gleich hinter den Maschendrahtzaun gepflanzt worden, um größtmögliche Abgeschiedenheit zu gewährleisten. Ich ging den gepflasterten Weg entlang. Das Gras zu beiden Seiten war zartgrün und frisch gemäht. Das dreistöckige Haus aus altem Backstein hatte im Lauf der Jahre die Farbe reifer Wassermelonen angenommen. Sämtliche Bleiglasfenster waren mit blaßgrauem Stein eingefaßt. Das Mansardendach bestand aus grauem Schiefer, und die gesamte Fassade wurde von indirektem Licht übergossen. Von hinten drangen die Stimmen der alkoholisierten Gäste an mein Ohr und übertönten die Akkorde einer Drei-Mann-Combo. Ab und zu schoß ein plötzliches Lachen wie eine Rakete in

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